Werke von mehr als 100 Künstlern sind am Klosterwallzu sehen. Schon Dürer schuf politische Bildgeschichten.

Hamburg. Scharf aus dem Osten blies in den späten 80er-Jahren der politische Wind. Kaum war das neue Jahrzehnt geboren, pfiffen die Scorpions ihren Wind of Change von den Dächern dieser Welt. Aber "Wo ist der Wind, wenn er nicht weht?" Diese vieldeutige Frage stellt sich zurzeit der Kunstverein und leert ein ganzes Füllhorn an politischen Bildergeschichten vor seinem erstaunten Publikum aus. Zu Weihnachten wird keine künstlerische Neu-Position beschert - außer einer beeindruckenden, Wände und Decke füllenden Raumzeichnung des Hamburger Künstlers Stefan Marx. Zum Fest betätigt sich der Kunstverein selbst, Kapitän Florian Waldvogel und seine Crew als Künstler-Archäologen. Von Dürer über Goya, Picasso bis Art Spiegelmann, Gerhard Seyfried oder Raymond Pettibon durchkreuzen sie das Bildermeer überwiegend politisch motivierter Bildergeschichten.

Bildergeschichten, das sind alle jene Ereignisse, die vermittelt und an den Menschen gebracht werden sollen. An Menschen, die über keine oder nur wenig Vorkenntnisse verfügen. Ihre Inhalte sind Kollektivgut wie die Schrecken der Kriege, die Anti-AKW-Bewegung oder 9/11. Man muss diese Ereignisse nicht entziffern, aber eingängig und lesbar darstellen via Buchdruck, Grafik, Wandzeichnung, Plakat, Buch, Zeitung oder Comic.

Und an Letzterem hat sich der Kunstverein ein Beispiel genommen. Die Exponate, Kopien, Originale, Drucke, Bilder, Filme von über 100 Künstlern präsentiert er auf großflächigen Schautafeln, die wie einzelne Bild-Fenster einer Comic-Seite das gesamte Obergeschoss füllen. Hier trifft das Publikum auf Little Nemo, auf Erich Ohsers legendäre Vater-und-Sohn-Geschichten, auf Tim und Struppi im Kongo, auf Hitler im Donald-Duck-Format oder auf Zeichnungen des viel beachteten Streifen "Persepolis" von Marjane Satrapi. Verglichen mit historischen Vorgängern, die politische Kunst thematisierten, fällt das Fehlen jeglicher Kommentierung auf. Allein ein umfangreiches Rahmenprogramm sorgt für Hintergrundinformation. Auch der Katalog verzichtet ganz auf das kommentierende Wort.

Doch weht der kommentierende Wind hier von einer ganz anderen Seite. Viele der Bildgeschichten sind als Bild oder als Bild im Bild gehängt. Dürers finstere Melancolica-Blätter fügen sich zur Swastika, Bilder zum Thema 9/11 ergeben einen Totenkopf und der fünfzackige Kommunistenstern entpuppt sich als Mosaik aus Buchseiten marxistischer Literatur. So verwandeln sich Bilder in populär-eingängige Zeichen, die ihre einzelnen Bausteine gelegentlich in so weite Ferne rücken, dass sie unlesbar bleiben. Kein Fauxpas, eher Absicht. Denn "Wo bläst der Wind ..." will über ausgesuchte Themenkomplexe wie "Holocaust" oder "Kriegsschauplätze" vorrangig eines anschaulich machen: die historischen und modernen Lesarten, mit denen politische Inhalte vermittelt wurden und werden.

Trotz aller politischen Bildergeschichten - ein Fakt, den allein die Ausstellung sehenswert macht - bleibt die Frage, ob hier noch ein anderer, nämlich kunstpolitischer Wind bläst. Unübersehbar hat sich in den vergangenen Jahren der Kampf um die Lesbarkeit von Kunst und damit ums Publikum entfacht. Großveranstaltungen wie Roger Buergels documenta haben das Publikum mit seinem Assoziationsvermögen für Formen gelockt. Dass Kunstvereine, (wind-)gebeutelt durch geringen Zulauf, in diesem Kampf ums Publikum mitmischen wollen, ist verständlich. Nicht zufällig betont der Hamburger Kunstverein jetzt, dass im demokratischen Verständnis der Bildergeschichte sich der Anspruch jener Institutionen niederschlägt, denen es um "die Überbrückung der Kluft zwischen Kunstproduktionen und Publikum geht." Bahnt sich da ein Kurswechsel in der bislang auf aktuelle Kunst fixierten Vereinspolitik an? Change ist ein großes Wort. Warum also nicht erneut Wind of Change?

Klosterwall 23, Bis 14. März, Di-So 11-18 Uhr geöffnet, 24. und 31.12. geschlossen. www.kunstverein.de