Das Literaturgeschäft und seine literarische Moden werden immer stärker von den Buchhandelsriesen dominiert.

Hamburg. Im Buchhandel ist derzeit Hochsaison: das Weihnachtsgeschäft. Bücher zählen auch in Zeiten, in denen gut gefüllte Bücherregale oder literarische Kennerschaft kaum noch für Prestige sorgen, zu den Lieblingsgeschenken. Mit einem Volumen von 9,3 Milliarden Euro ist der deutsche Buchmarkt nach den USA der zweitgrößte der Welt.

Knapp 4000 Buchhandlungen gibt es in Deutschland. In Hamburg existierten vor 20 Jahren noch 190 Buchhandlungen, heute sind es weniger als 100. Fast 30 Prozent aller Bücher werden inzwischen in Filialen der großen Buchhandelsketten Thalia, Hugendubel/Weltbild oder Mayersche Buchhandlung verkauft. Buchkaufhäuser nach amerikanischem Vorbild haben die Top-Lagen der Innenstädte besetzt. In ihrem Umkreis kann auf Dauer kein mittelständischer Buchladen bestehen. Die Buchkaufhäuser locken mit Weitläufigkeit, Bücherfülle, Sitzecken und Kaffeebars. Sie zu besuchen soll Teil des Einkaufsbummels sein. "Unten ist modernes Antiquariat, richtige Bücher verschwinden in den Regalen, präsentiert wird die Bestsellerliste und Genres. Auf einen Tisch passen 250 verschiedene Bücher zu einem Genre, die kosten dann alle 9,95 bis 14,95 Euro. Etwas anderes gibt es da nicht mehr", heißt es aus Verlagskreisen.

Thalia, die zum Parfümeriekonzern Douglas gehört, führt 300 Buchhandlungen in Deutschland (13 in Hamburg, wo alles mit einem kleinen Eckladen im Thalia-Theater begann), Mayersche 48, Hugendubel knapp 40. "Bücher werden jetzt verkauft", schrieb die "Süddeutsche" vor Kurzem, "als wäre es ein Deo, ein Schokoriegel oder Ohrring."

Oder, wie Verlagschef Günter Berg (Hoffmann und Campe) formuliert: "In den Buchhandelsketten sind neue Ideen entstanden, wie man mit Büchern Geld verdienen kann. Die wollen mit uns nicht über Bücher und deren Qualität reden, sondern über Margen, Werbekostenzuschüsse und Konditionen für den Verkauf. Die denken nicht anders, als wenn es um Tütensuppen ginge. Sie haben ein neues Konzept. Die meisten Buchhändler haben das nicht. Die Buchhandelsbranche ist hochgradig selbstausbeuterisch, da geht es nicht immer nur um Gewinn."

Große Buchhandelsketten fordern inzwischen von den Verlagen mehr als 50 Prozent Rabatt. Völlig unüblich in der Branche. Und von Gesetz wegen - das Buch ist ein Kulturgut und unterliegt der Preisbindung - ist auch bei 50 Prozent Schluss. Aber mit Werbekostenzuschüssen und anderen Beteiligungen entsteht dann doch mehr. Der Hamburger Buchhändler Christian Heymann, ein Mittelständler, sagt: "Normalerweise herrscht eine faire Partnerschaft zwischen Buchhandlungen und Verlagen. Wir bekommen einen dem Umsatz entsprechenden Nachlass, Zuschüsse für Lesungen, Werbematerialien und Ähnliches. Die großen Buchhandlungen argumentieren aber damit, dass sie viel Umsatz mit einzelnen Titeln machen können, größere Stückzahlen verkaufen. Entsprechend erwarten sie von den Verlagen ein Entgegenkommen. Das ist kaufmännisches Verhalten, wie es bei Autozulieferern üblich ist."

Was aber ist unter diesen Preisnachlässen, die die Ketten von den Verlagen fordern, zu verstehen? Stimmt es etwa, dass ein Verlag 60 000 Euro zahlen soll, um in der Thalia-Broschüre als "Buch des Monats" präsentiert zu werden (derzeit Charlotte Link mit "Das andere Kind", das im Blanvalet Verlag erscheint, der zur Randomhouse-Gruppe gehört)? Günter Berg erklärt dazu: "Wenn man dort 'Buch des Monats' werden will, geht das nur als Paket. Dazu zählt eine besondere Positionierung im Geschäft, Werbung in den Läden, der Einkauf einer großen Menge des Titels, Anzeigen in ausgewählten Zeitungen. Am Ende kostet das einen Verlag fast 70 000 Euro." Lohnt sich das für einen mittelständischen Verlag wie Hoffmann und Campe, einer der wenigen, der noch unabhängig und in privater Hand ist? "Nein", sagt Berg. "Das geht bei Dan Brown oder Erfolgsautoren, die sich 100 000-mal oder mehr verkaufen. Es gibt nur wenige Verlage, die sich das leisten können. Die großen Ketten ziehen mit diesen Verkäufen den Markt hoch, bestimmen die Bestsellerliste, drängen andere Titel raus."

Ein Buch kostet beispielsweise 24 Euro, davon gehen im Schnitt zehn Prozent ab für den Autor, zehn Prozent für die Herstellung, zehn Prozent für Lager und Vertreterprovision, 50 Prozent bleiben im Handel. Zusammen sind das 80 Prozent. Wenn noch zehn oder 15 Prozent in Werbung investiert werden, bleiben für den Verlag 2,20 Euro pro verkauftem Titel übrig. Der Verlag muss also mindestens 30 000 Exemplare verkaufen, wenn er Geld für das Werbepaket ausgegeben hat. Es gibt wahrscheinlich nur noch drei Verlagsgruppen, Randomhouse, Bonnier und Holtzbrinck, die sich ein solches Geschäft überhaupt überlegen können.

Verlagschef Berg beobachtet bereits Veränderungen am Markt: "Die Verlage haben umgelernt. Sie produzieren Bücher, die besser in Ketten laufen, Historienschinken etwa von 700 Seiten. So etwas funktioniert bestens auf großen Stapeln in den Läden. Die Bücher werden teuer produziert, die Verlage müssen 55 Prozent Rabatt geben, das ist wahrscheinlich ein Nullgeschäft. Auch wenn man nur wenig damit verdient, ist das besser als nichts. Hier macht's die Masse."

Mehr als 2000 Verlage produzieren in Deutschland Literatur, knapp 100 000 Titel im Jahr. Die Fixierung des Marketings auf "Spitzentitel" hat zugenommen. Verlage machen mit wenigen Titeln den Löwenanteil ihres Umsatzes. Da lenken Buchhändler die Aufmerksamkeit gern auf bestsellerfähige Titel, erkennbar im Laden an der sogenannten Stapelware. Verleger Dietrich zu Klampen, der seinen kleinen Verlag leitet, sagt: "Es findet eine 'Vereinfältigung' statt. Was kein Bestseller ist, hat es schwer, ins Regal zu kommen."

Und die mittleren und kleinen Verlage? Günter Berg: "Kleine Verlage können nur 35 Prozent Rabatt geben. Mit solchen Margen kommen sie in die großen Buchhandelsketten gar nicht rein. Das interessiert die nicht. Wenn man aber da nicht drin ist, kann man von vornherein nur weniger verkaufen. Kleine Verlage müssen bei diesen Konditionen pleitegehen. Und das tun sie auch. Für die ist amazon eine große Chance, weil man dort alles kaufen kann."

Wird unter diesem Verkaufsgebaren möglicherweise schon bald sogar die Qualität der Bücher leiden? "Na klar", sagt Berg. "Die Qualität des Buches gerät völlig aus dem Fokus, wenn sie kein Argument mehr für ordentliche Konditionen ist. Wenn sie gar keine Rolle spielt und es nur noch ums Verkaufen einer Ware geht. Verkaufsargumente in Buchketten heißen: dick und billig."