“Das Modell für Laura“ ist ein Roman-Exposé, in dem nur noch wenig vom Genie des Autors aufscheint.

Hamburg. Wahrscheinlich hätte der Vater seinen Sohn Dimitri Nabokov einen törichten Jungen geschimpft, und wenn er ganz ehrlich gewesen wäre: einen gierigen. Er, der große Autor Vladimir Nabokov, Russe und Amerikaner, hätte den Sohn außerdem gefragt, ob er etwa aufbegehren wolle gegen ihn, den Vater (das Gesetz), und vielleicht auch: ob er ihn blamieren wolle.

Aber Nabokov kann nicht mehr schimpfen. Lange schon ist er tot und muss jetzt nicht miterleben, wie sein letztes Werk veröffentlicht wird. Na ja, sagen wir besser: "Werk", denn "Das Modell für Laura", das bis 1992 in einem Schweizer Banksafe lag, ist ja bekanntlich ein unvollendetes Manuskript geblieben, als der Meister 1977 starb. Er selbst verwahrte sich kurz vor seinem Ableben gegen eine Veröffentlichung und wollte es vernichtet wissen - warum das sinnvoll gewesen wäre, erschließt sich leider recht schmerzlich bei der Lektüre des furchtbar dünnen Sammelsuriums, das da auf uns gekommen ist.

Nach jahrelangem Zögern hat Dimitri Nabokov das Konvolut aus 138 handschriftlich beschriebenen Karteikarten veröffentlicht. "Roman" steht auf dem Einband, aber das ist nicht mehr als ein ganz müder Witz. Denn am Ende ist "Das Modell für Laura" nicht mehr als eine philologische Fingerübung. Ein Fundstück für die Sammler in der Nabokov-Gemeinde; für die, die wissen wollen, wie die Handschrift des Romanciers aussah.

Jede einzelne Karteikarte ist im Faksimile abgedruckt in dieser Ausgabe, auf der rechten Seite steht jeweils die deutsche Übersetzung, sie ergäbe etwa einen Text von 30 Seiten. Diese schmale Plot-Entfaltung ist aber viel weniger als ein Exposé, sondern lediglich eine lockere Stoffsammlung, die eine ungefähre Wegbeschreibung zur Vollendung eines Werks darstellt. Mehr nicht.

Es geht um Flora, eine, nun ja, "Lolita", die dem Freund der Mutter den Kopf verdreht. Er heißt Hubert H. Hubert, und das ist nun wirklich eine allzu platte intertextuelle Referenz: Humbert soll doch bitteschön Humbert bleiben, in "Lolita", dem Großwerk Nabokovs selbst. Diese Flora, jedenfalls, ist eine Projektionsfläche männlicher Triebwünsche. Interessanter und komplexer in seiner Anlage selbst scheint der Charakter des Philip Wild. Der Neurologe symbolisiert das Alter selbst. Krank ist er, fett und unansehnlich, eine Missgestalt, die unglücklich ist in der Ehe mit Flora, die ihn dreist betrügt, wann immer sie kann. Mehr gibt es nicht zu erzählen von dieser Handlung, außer, dass dieser Wild seinen Exitus mit ein paar philosophisch-fernöstlichen Meditationsübungen vorwegnehmen will. Sie entheben ihn keineswegs der allzu irdischen Verderbnisse, die sich einstellen, wenn der Körper altert.

Nabokov kränkelte nach einem Unfall zwei Jahre vor seinem Tod vor sich hin, so wird wenigstens deutlich, wie Leiden zu Literatur werden kann. Denn Literatur, immerhin ist dieser gleichsam nur angepirschte Roman schließlich doch: "Mr. Hubert saß auf Floras Bett, nickte mit seinem kahlen Kopf und quittierte damit alle Kränkungen des Lebens, wischte sich die Augen mit einem lila Taschentuch, das orange wurde - ein kleiner Partytrick -, als er es zurück in seine Herztasche stopfte, und nickte weiter, während er versuchte, seine dicke Schuhsohle mit einem Muster im Teppich in Übereinstimmung zu bringen."

Eleganter und pointierter kann man die Verzweiflung des zurück gewiesenen Mannes nicht beschreiben. Hier und da funkelt auch der Witz Nabokovs auf. Man kann jedoch gerade nach dem geschwätzigen Vorwort Dimitri Nabokovs nicht anders, als immerzu an den krank danieder liegenden Vladimir Nabokov zu denken. Auf der letzten Karteikarte steht: "auslöschen ausradieren löschen entfernen ausstreichen beseitigen tilgen". Das hätte der Sohn tun sollen. "Ein zum Wahnsinn treibendes Meisterwerk" nennt Nabokov das hinterlassene, unvollendete Werk seines Vaters. Was für eine billige Verkaufe! Wenn schon ein Fragment, dann doch wenigstens eines, das das Odeur des Genies, das Nabokov war, versprüht. Dieses Fragment freilich ist offen (in seiner Löchrigkeit) und hermetisch zugleich: Da ist kein Duft literarischer Vollendung.

"Das Modell für Laura" ist nur deswegen studierenswert, weil sich hier die Arbeitsweise Nabokovs zeigt. Wie er einen Roman im Kopf ersann und ihn dann von verschiedenen Seiten kommend zuschrieb. Aber dafür jahrelang so viel heiße Luft machen?

Vladimir Nabokov: Das Modell für Laura. Übersetzung von Dieter E. Zimmer und Ludger Tolksdorf, Rowohlt, 19,90 Euro