Manche Gespenster verschwinden, wenn das Licht angemacht wird. Das Manifest "Not in our name" beschwört die "segregierte Stadt" des 19 Jahrhunderts, die sich gegenwärtig wieder entwickle: "Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb." - Der Vorwurf stimmt nicht! Die Auseinandersetzungen um das Gängeviertel, um das Bernhard-Nocht-Quartier in St. Pauli, um die Ikea-Ansiedlung in Altona sind nicht Resultat räumlicher Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Sondern Begleiterscheinungen einer Neubelebung der inneren Stadt.

Im 19. Jahrhundert konnte in Eppendorf noch in der Beletage der wohlhabende Bürger wohnen und unter dem Dach der Handwerksgesell sich das Bett mit dem aus der Nachtschicht teilen.

Die räumliche Trennung von Arm und Reich entwickelte sich richtig erst mit dem sozialen Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg, der die Großsiedlungen am Stadtrand hervorgebracht hat: Steilshoop, Osdorfer Born, Kirchdorf Süd, Mümmelmannsberg, zuletzt Allermöhe.

Aber auch die Wohlhabenden blieben nicht in der Innenstadt: Sie siedelten sich in Villen- und Einfamilienhausvierteln am Rande und - nach der Automobilisierung - immer häufiger außerhalb der Stadt- und Landesgrenzen an. Den Anfang machten Hamburgs reiche Familien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Elbchaussee zogen. Die letzte große Welle bildeten die gut verdienenden Mittelklässler, die nach dem Bau der Autobahn in den Landkreis Lüneburg zogen.

Zurück blieben in den wenigen Innenstadtquartieren, die nicht von Büros und Geschäften besetzt wurden, ärmere Leute: Sozialhilfebezieher, Studierende, Niedrigverdiener.

Hamburg wäre wie viele große Städte daran fast zugrunde gegangen. Da wir Stadtstaat sind, war für uns die Entleerung der Innenstadt bei sozialer Trennung draußen noch verderblicher als anderswo. Denn mit den Wohnsitzen der Besserverdienenden wanderten auch ihre Steuereinnahmen in den Speckgürtel. Gleichzeitig hatte das Land Hamburg eine weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Zahl von Sozialhilfebeziehern zu finanzieren.

Auch immer mehr Unternehmen zogen über die Landesgrenze nach draußen. Damit fehlte der Stadt nicht nur Einkommen-, sondern auch Gewerbe- und Körperschaftsteuer für die Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben. Und in der City litt der Einzelhandel, weil sich immer mehr Großmärkte am Stadtrand ansiedelten. Das war der Zeitpunkt, wo räumliche Trennung zu triumphieren schien und die Innenstadt sich in eine tote Zone zu verwandeln drohte. In den späten 70ern und den 80ern hatten Investoren vor, St. Georg zu planieren und dort riesige Bürotürme zu entwickeln, Ottensen sollte autogerecht durchpflügt und an der Hafenstraße sollten Konzernzentralen gebaut werden.

Gegen all das gab es erinnerlich heftigen Widerstand. Und der hatte Erfolg. Die Stadt entwickelte Wohnungsbauprogramme zur inneren Verdichtung, beauftrage die Steg mit der Sanierung der westlichen inneren Stadt, finanzierte Programme zur sozialen Stadtteilentwicklung.

Der Senat kam endlich auf die Idee, die alte Innenstadt in das Hafengebiet zu erweitern: das HafenCity-Projekt. Es gelang allmählich, auch besser verdienende Hamburger von der grünen Wiese in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen wieder in die Stadt zu locken - wo sie jetzt ihre Steuern zahlen. Die Veränderungen in der Ökonomie mit immer mehr Internet-Arbeitsplätzen brachte Wirtschaftskraft in die City zurück. Und originelle Existenzgründer wie im Schanzenviertel beleben den Einzelhandel.

Wer heute die Schickimickisierung von St. Pauli beklagt, sollte bedenken, dass ein Auslöser dafür z. B. von den Hafenstraßlern geschaffen wurden, die das alte Quartier verteidigt haben und für ihre eigenen Wohnungen in das städtische Sanierungsprogramm eingestiegen sind.

Was ist daraus zu lernen? - Eine lebendige Stadt ist immer in Bewegung. Die Gewinner von gestern sind häufig die Blockierer der nächsten Entwicklung. Und die heutigen Konflikte sind Ergebnis eines Erfolgs von Bürgerwiderstand: Die Innenstädte sind wieder begehrt, und natürlich knallen dann die widersprüchlichen Interessen aufeinander.

In diesen Konflikten ist es selbstverständlich Aufgabe der öffentlichen Hand, die Schwächeren zu schützen. Gleichzeitig ist es aber Aufgabe des Senats, die Stadt als Raum wirtschaftlicher Wertschöpfung zu pflegen: Ohne Wirtschaftsleistung keine Steuern, ohne Steuern keine sozialen Leistungen, keine Künstlerförderung. Davon abzusehen ist nicht sozial und fortschrittlich, sondern blind.

Richtig geärgert hat mich am Manifest der Gänge-Künstler das konservative Argument gegen das "Trockenwohnen": Zwischennutzungen wollen wir nicht, sondern dauerhafte Künstlerbleiben! - Jahrelang wurde in Hamburg mit der Liegenschaft darum gestritten, dass sie in Umbruchgebieten wie z. B. der HafenCity günstige Zwischennutzungen durch Künstler gestatten solle. Jetzt kommt endlich Bewegung in die Sache. Und da erklären Künstlersprecher, sie wollten nur etwas lebenslänglich Sicheres, was sie dann Freiraum nennen. Ich habe den Eindruck, da haben einige Leute das Lebensgesetz moderner Städte schlecht verstanden.

Der Politiker Willfried Maier (67) war von 1997 bis 2001 Stadtentwicklungssenator.