Hamburg. So manche der zahllosen Schulen der Neuen Musik hat es sich auf die Fahnen geschrieben, jede Hörgewohnheit zu unterlaufen: Formale Gerüste sind verpönt, Tonalität sowieso und mitunter sogar der Primat des emotionalen Ausdrucks. Da ist es fast konsequent, dass die Geigerin Carolin Widmann bei ihrem Parforceabend im Liebermannstudio vor allem den Eindruck ernster Arbeit hinterließ.

Dabei war das Programm gar nicht so kompromisslos avantgardistisch. Mit dem Cellisten Christian Poltéra spielte Widmann Maurice Ravels Sonate a-Moll für Geige und Cello. Und die Sonatine von Sándor Veress, mit der Widmann und der Pianist Dénes Várjon den Abend eröffneten, klang ziemlich epigonal nach Bartók.

Mühelos fingen die beiden Anton Weberns hochverdichtete Tonsprache in seinen frühen "Vier Stücken für Violine und Klavier. Da bäumten sich die Schmerzensausbrüche und versandeten im selben Moment, und Várjon zauberte unerwartete Klangeffekte.

Widmann ist als Spezialistin für Neue Musik bekannt geworden, und ihre Spieltechnik ist für dieses Repertoire zweifellos sehr geeignet. Das fängt bei der nüchternen Klarheit ihres Tons an. Künstliche Flageoletts machen ihr so wenig aus wie Intervallsprünge quer über die ganze Geige, und sie hat eine hervorragende Bogenkontrolle. Die raffinierten Klangeffekte bei der deutschen Erstaufführung von Kaija Saariahos "Calices" (2009) gingen ihr leicht von der Hand.

Doch ihre Intonation blieb häufig im Ungefähren. Gerade im Vergleich mit Poltéra vermisste man klangliche Wärme und Variabilität; ihr Vibrato wirkte eng und fest. So fehlte bei Wolfgang Rihms ausgedehntem, zerklüftetem Duo-Monolog für Violine und Cello vielen Wendungen das Sprechende, und die Spannung brach öfters ein.

Den stärksten Eindruck machten die beiden Solowerke. In George Benjamins "Three Miniatures" (2001) zwitscherte mal eine ganze Voliere, dann wieder teilte sich Widmann in zwei Spieler, die rein nichts miteinander zu tun haben schienen. Und ausgerechnet die "Anthèmes I" von Pierre Boulez, diesem Bilderstürmer seiner Zunft, gerieten ihr wie aus einem Guss und beglückend frei im Ausdruck.