Hamburg. Wenn sich die beiden Sphären Klassik und Jazz in der Vergangenheit einander anzunähern versuchten, kam entweder "Play Bach" dabei heraus oder das Third Stream genannte Bestreben, Strukturelemente klassischen Komponierens mit den unveränderlichen Kennzeichen des Jazz - synkopische Rhythmik, Swing, Improvisation - anzureichern und zu einem dritten Strom der zeitgenössischen Musik zu verbinden.

Die Ergebnisse machten selten glücklich - weder Klassik-Liebhaber noch Jazzfans. Der in Berlin lebende Komponist Christian Jost präsentiert jetzt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg einen neuen Zugang: "Pietà - In memoriam Chet Baker" heißt seine 24-minütige Komposition für Solotrompete und Orchester, die er selbst dirigiert.

Die Konzertbesucher erwartet ein starkes Stück Musik, das Jost "eher im Geiste des Jazz" ansiedelt. An einer "Kopie des Jazz-Idioms" hat er kein Interesse. Schließlich gehört Jost zu den wenigen erfolgreichen E-Musik-Komponisten der jüngeren Generation aus Deutschland. 1964 in Trier geboren, hat er in Köln und San Francisco Komposition, Werkanalyse und Dirigieren studiert und kann seit seinem Debüt mit dem Orchesterstück "Magma" 1992 sowohl im Konzertbetrieb als auch auf der Opernbühne konstante Erfolge vorweisen. Seinen "Hamlet" kürte die "Opernwelt" zur Uraufführung des Jahres 2003, der Berliner Rundfunkchor unter Simon Halsey und die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle hoben Werke von ihm aus der Taufe.

Auch die "Pietà", Teil einer Trilogie, erfreut sich reger Nachfrage. Trotz des religiösen Titels wehrt Jost alle Bezüge zum Kirchlichen ab: "Pietà - das ist für mich individuelle Leidensfähigkeit und individueller Schmerz." Und wenn der Jazz einen Schmerzensmann hat, dann ihn: Chet Baker, den tragischen, gebrochenen, seelenvollen Cool-Jazz-Melodiker und Flüstersänger, dessen Gesicht in den späten Lebensjahren aussah wie von extremer Dürre ausgetrocknete Erde.

Über einem filigranen Geäst aus Vibrafon-, Marimba- und Glockenklängen hat Jost für die "Pietà" eine in vielen Farblasuren schimmernde Fläche aus Streichern, Klavier und Bläsern geschaffen. Der Solist - in Hamburg ist es der russische Virtuose und Jazzliebhaber Sergej Nakariakov - improvisiert keinen einzigen Ton, und dass die Füße der Zuhörer in muntres Mitwippen geraten, ist sehr unwahrscheinlich. Umso intensiver spürt man beim Hören das inspirierte Echo jenes Sounds der Verlorenheit, den Chet Baker auf seinem Horn zu evozieren verstand wie niemand sonst.

Konzerte So 22.11. 11.00, Mo 23.11. 20.00, Laeiszhalle (U Gänsemarkt) Johannes-Brahms-Platz Karten zu 8,- bis 38,- unter T. 35 68 68