Große Schauspielkunst: Sven-Eric Bechtolf zeigt in seinem Monolog “Richard II.“ den entmachteten Herrscher als virtuosen Dichter.

Hamburg. Ein König liegt im Kerker, allein mit sich und seinen Worten. Der einst Mächtige ist ohnmächtig, ein rechtloses, isoliertes, einsames Subjekt. Kurz vor seinem Tode läuft sein Leben noch einmal vor ihm ab. Nicht in Sekundenschnelle, aber in anderthalb Stunden.

So lange brauchen die junge Regisseurin Cornelia Rainer und ihr Protagonist Sven-Eric Bechtolf, um die Geschichte vom Niedergang eines unfähigen Königs zum Erwachen eines Individuums zu erzählen, die jetzt im Thalia-Theater Premiere hatte.

Bechtolf zeigt, bravourös und fesselnd, Shakespeares Titelhelden als Wiedergeburt eines Menschen allein aus seiner Fantasie. Auch wenn die Inszenierung mit dem Schlussmonolog beginnt, in dem Richard sterben muss. Vergiftet rollt er auf der fast leeren, schrägen Bühne (Aurel Lenfert) bis zur Rampe und beginnt, mit Blut im Mund und im Rausch der Verzweiflung, seine Suada über Zerstörung und Selbstzerstörung.

Die Regisseurin hat das Stück auf eine einzige Rolle reduziert. Bechtolf spielt den eingesperrten König, der räsonierend, zweifelnd, eitel, höhnisch, maßlos Momente seines Lebens herbeiruft. Als Ein-Mann-Show. Mit großem psychologischem Einfühlungsvermögen. Und als virtuose Schauspielerleistung. Er greint, fleht, tänzelt, träumt, wütet, lacht "och, armer Richard". Er lässt die ganze Spielbreite unmenschlicher Größe und menschlicher Mickrigkeit aufblitzen. Er gibt den Stimmen seiner Getreuen ebenso Ausdruck wie denen seiner Widersacher.

In allen Stadien seines Daseins findet er sich wieder, vom christlichen, allmächtigen König, der aufgehoben ist in Bindungen, Zusammenhängen, Aufgaben, der sich die Hände küsst, einen Samtmantel überstreift, Trompeten hört, ein jubelndes Volk, hin zum Individuum, das alle Gewissheiten verloren hat, und jammert, "Das Wesen jedes Leids hat 20 Schatten".

"Richard II" ist ein Stück über einen törichten, unfähigen König und Politiker. Aber auch ein Stück über einen großen, sich selbst erschaffenden Künstler. Denn Richard ist ein Vorläufer Hamlets, ein lyrischer Selbstzerstörer, der nicht zum Handeln kommt, aber in wunderschönen Versen redet. Ein Denker, der nur ein Thema kennt: Sein Leiden und seine Erniedrigung. Dreimal spricht er den Monolog: "Ich habe nachgedacht, ob der Kerker, in dem ich leb, mit der Welt verglichen werden kann" und jedes Mal kommt er zu tieferen Einsichten über das Wesen des Menschen.

Richard war ein selbstherrlicher, verschwendungssüchtiger König, der sich die mächtigen Pairs zu Feinden gemacht hatte. Sein Widersacher Bolingbroke erringt mit Hilfe der Pairs die Macht, entreißt Richard die Krone und lässt ihn ermorden. All das sollte man wissen, wenn man sich Cornelia Rainers gelungene Inszenierung anschaut.

Der anderthalbstündige Abend begeisterte die Zuschauer, die atemlos folgten.

Hier kann man - und das geschieht auf den Bühnen ja nur noch selten - einen großen Schauspieler und sein virtuos eingesetztes Können bewundern. Ausgeruht allerdings sollte man dazu sein.