Georg Kreislers zweite Oper, “Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft“, feiert Uraufführung - samt tanzendem Männerchor.

Hamburg. Es ist eine alte Liebe aus der Jugendzeit: Als Teenager hatte sich der große Kabarettist Georg Kreisler regelmäßig Stehplatzkarten für die Wiener Staatsoper besorgt und das ganze große Opern-Repertoire erlebt - er kann noch heute vieles auswendig, Texte, ja ganze Besetzungslisten.Eine Traumwelt mit Musik, die ihn tief berührte. Ein Fluchtort aus unfroh erlebter Kindheit: "Ich ging gern ins Theater, weil man dort auf einem winzigen Fleck zu Hause sein durfte, bis das Stück zu Ende war." Der Einmarsch Hitler-Deutschlands in Österreich 1938 beendete das; die Kreislers konnten entkommen, gerade noch rechtzeitig, vor der brutalen antijüdischen Gewalt, die damals das Land terrorisierte. Die Oper, die Bühne, die Musik als skurriler Ort fast heiler Welten haben ihn in seinem Herzen und Hirn begleitet - nachHollywood, nach Europa zurück, wieder Amerika, dann Österreich, wo 1955 seine Kabarettkarriere begann.

Fragt man ihn nach seinem Werk, nennt der heute 87 Jahre alte Komponist nicht seine mehr als 300 Kabarett-Songs, für die ihn seine Fans lieben. Als Opernkomponist soll man ihn anerkennen - und bitteschön spielen. Das tut von Sonnabend an das Volkstheater Rostock, wo Kreislers zweite Oper uraufgeführt wird. Regie bei "Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft" führt - und zumindest auf dem Fußballrasen wäre das eine pikante Konstellation - in Rostock St.-Pauli-Präsident Corny Littmann. Es ist seine erste Opernregie, während von Kreisler schon einmal eine satirische Oper das Licht der Bühne erblickte: im Jahr 2000 "Der Aufstand der Schmetterlinge" in den Wiener Sofiensälen. Von der Kritik gelobt, vom Publikum gefeiert, von allen anderen deutschsprachigen Theatern komplett ignoriert.

Corny Littmann, Musical- und Revue-erfahren, sagt, worum es in Kreislers neuem Werk geht: "Es geht um sechs Personen - drei Männer, drei Frauen, die sich an einem von Kreisler nicht näher, von mir aber als Strand definierten Ort treffen und typische Strandgespräche führen. Man kann sie mit Fischen vergleichen, die in einem Aquarium schwimmen, zueinander kommen, scheinbar miteinander kommunizieren und im nächsten Moment auseinanderschwimmen. Schlussendlich, es ist ja eine tragikomische Oper, bleibt jeder allein in seiner Welt, in seinem Egoismus. Sehr melancholisch." Es sei fast eine Laborsituation, Mitleid habe der Schöpfer mit seinen Geschöpfen keines. Die Quintessenz der "Stimme der Vernunft", die als Koloratursopranistin auftaucht, heißt: "Vernünftig ist der, der unvernünftig ist."

Ein Chor wie in griechischen Tragödien, gewandet in große Badetücher, kommentiert das Geschehen. Der Text ist politisch, poetisch, skurril und - ein großer Vorzug - er ist von Kreisler, einem der sprachmächtigsten und pointiertesten Poeten der vergangenen Jahrzehnte. Littmann zitiert: "Verbotene Liebe du böse, / du Feuersbrunst im innersten Gekröse, du brennst und bist doch nur / ein längst erloschenes Furunkel der Natur. / Was schmerzt mir die Psyche, / verursacht meine Leistenbrüche, / hat mir jeden Schlaf geraubt. Das ist verbotene Liebe, / die sich heut kein Aas erlaubt." Der Männerchor tanzt dazu Tango, und Littmann sagt ahnungsvoll: "Da werden alle sagen: Da hat sich der Littmann wieder eine schwule Stelle ausgedacht. Dabei ist das Kreisler pur."

Für die Musik gibt es keine Schublade, sagt Littmann. "Es ist Musik des 20. Jahrhunderts, mit vielen Zitaten, aber sehr wandlungsfähig und eigenständig, manchmal sehr melodisch, dann wieder richtig scharf."

Georg Kreisler wird bei der Uraufführung am Sonnabend in Rostock dabei sein und erleben, was Littmann auf die Bühne gestellt hat. Der hat viel mit den Sängern gearbeitet und erlebt, dass Musical-Darsteller und Opernsänger anders ticken: "Die Opernsänger sind viel mehr bei sich, bei ihrer Stimme und der Produktion der Töne und erst in zweiter Linie Schauspieler, man sollte von ihnen nichts fordern, was sie nicht leisten können." Das Tanzen beim Singen muss hart geprobt werden.

Der Fußballfeind in meiner Oper - dieses Stück ist in Rostock während der Proben allerdings nicht gegeben worden. Nur ein Treffen mit einem Rostocker St.-Pauli-Fanklub, über das die "Ostseezeitung" berichtete, hatte nach dem 2:1-Sieg von Pauli böse Folgen: Erboste Rostock-Fans haben aus einem Fußball-Lokal alle St.-Pauli-Erinnerungsstücke herausgerissen. Toleranzlevel null - "Schon hässlich und traurig, so was", sagt Littmann. Im Theater spielt dergleichen zum Glück keine Rolle.

Ob "Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft" nach Rostock in andere Städte kommen könnte? "Erstmal ist Rostock dran", sagt Littmann. Er wäre aber nicht der Theater-Profi, der er ist, wenn der Satz nicht weiterginge: "Und dann muss man einfach mal sehen. Möglich ist vieles."

Das Aquarium oder Die Stimme der Vernunft: Volkstheater Rostock, Uraufführung Sa, 14.11., 19.30 Uhr, 0381/381 47 00