Hamburg. Die Bewegung des "New Weird America", also des "neuen seltsamen Amerika", schlägt in der Musikwelt hohe Wellen. Immer mehr Bands suchen ihr Heil im psychedelischen Pop der 60er-/70er-Jahre, entdecken die Liebe zum Landleben und zur Tierwelt. Aushängeschilder sind Bands wie Animal Collective, The Felice Brothers, Fleet Foxes - oder eben Grizzly Bear.

Wer bei dem Quartett aus dem kreativen Schmelztiegel Brooklyn vier Waldschrate in Karohemden erwartete, deren Gesichter Vollbärte überwuchern, wurde beim Tourauftakt im Hamburger Grünspan angenehm überrascht. Die vier erinnern mit ihrem tödlichen Ernst und gleichzeitiger Nonchalance eher an Jazzstudierende als an eine weltweit hofierte junge Band, deren aktuelles Album "Veckatimest" schon als wichtigstes Album des Jahres gehandelt wird.

Umringt von einer eindrucksvollen Installation aus mit Glühbirnen illuminierten Einmachgläsern entfesseln die vier Musiker einen beglückenden, kompromisslosen Kammerfolk. Ein eigenartiges Mysterium durchweht die Sounds von Sänger und Gitarrist Daniel Rossen, Bassist und Multiinstrumentalist Chris Taylor, Schlagzeuger Christopher Bear sowie Gründer, Keyboarder, Gitarrist und zweitem Sänger Edward Droste. Frei schweben sie im Raum und bahnen sich ihren Weg durch ein Dickicht aus experimentellen Klängen, dunkel arrangierten Gitarren, sanften Klirrgeräuschen und rumpelnden Rhythmen, die man wohl am ehesten als entschärften Prog-Rock bezeichnen kann. Natürlich erzählt auch Grizzly Bear mit Hingabe Geschichten von Beziehungsversuchen und gesellschaftlichen Missständen. Die halligen Chorstimmen verleihen ihren Melodien jedoch etwas wunderbar Schwebendes.

In Songs wie "Two Weeks" oder "Lullabye" träumt man sich sogleich an hohe Wellen unter kalifornischer Sonne, wo Beach Boy Brian Wilson lachend am Strand steht und herüber winkt.

Die Bibel von Grizzly Bear und all der anderen um Harmonie bemühten Gesangstruppen ist die "Anthology of American Folk Music" aus der Zeit der Großen Depression. Und auch wenn sie keine ausgemergelten Bänkelsänger abgeben, mit ihrem Folk liefert Grizzly Bear derzeit das beste Mittel gegen ein kollektives Stimmungstief.