In “Juliet, Naked“ erzählt der Brite von einem in die Jahre gekommenen Fan, dessen Hobby zur Obsession wird. Am Montag las er in Hamburg.

Hamburg. 500 Wörter müssen es sein. Darunter darf kein Arbeitstag des Romanciers Nick Hornby enden. Alles bis zur doppelten Menge ist besser, doch erst bei 1000 Wörtern macht das arithmetische Selbstbewertungs-Ich des Autors erleichtert ein Häkchen. Gestern hat Nick Hornby nicht gedichtet - er war in der Stadt, um im Hörsaal A der Universität Passagen aus seinem neuen Roman "Juliet, Naked" vorzulesen. Nachmittags gewährte er Audienzen im Halbstundentakt.

Die Frage nach dem Tages-Plansoll beantwortete Hornby überraschend ausführlich. ",About A Boy' war tatsächlich so angelegt", berichtet der von monatelanger Lesereise unüberhörbar verschnupfte Autor. "Ich hatte ausgerechnet, dass ein nicht zu dicker Roman 75 000 Wörter haben sollte. Anfang, Mitte, Schluss - jeder Teil rund 25 000 Wörter. Einfach, oder?"

Seit seinem Debüt "Fever Pitch" (deutscher Titel "Ballfieber", 1992) hat Hornby sieben Romane geschrieben, von denen drei bereits verfilmt wurden. Die Rechte für die übrigen sind auch längst verkauft - angenehmes Zubrot für einen Schriftsteller "mit zwei Frauen und drei Kindern", wie Hornby seine alimentären Familienverhältnisse andeutet. Und nein, sein Schreiben wird durch die Aussicht auf eine Verfilmung kein bisschen beeinflusst: "Es werden viel mehr Bücher an Filmfirmen verkauft, als die Leute wissen", sagt Hornby. "Und meine Bücher eignen sich einfach dafür. Sie handeln von halbwegs wiedererkennbaren Figuren, die im Verlauf des Buchs auf eine Art Reise gehen. Wenn die Reise zu Ende ist, ist auch das Buch zu Ende." Nur wenn ein neuer Roman kein Schwein in der Filmbranche mehr interessieren würde, käme er ins Grübeln.

Die Gefahr ist gering. Leser schätzen den milden Spott, den Hornby für viele seiner Figuren übrighat, und vielen geht es beim Lesen, als blickten sie statt in ein Buch in einen Spiegel. In seinem jüngsten Roman schildert der 1957 geborene Autor die Irrungen und Wirrungen eines Musikfans, der für diese Art obsessioneller Zuneigung eigentlich schon viel zu alt ist. Duncan ist Lehrer, aber seine Nächte verbringt er bei endlosen Exegese-Debatten in einem Internetforum, das sich dem Schaffen und mehr noch dem plötzlichen Verschwinden des amerikanischen Singer/Songwriters Tucker Crowe widmet. Duncans Lebensgefährtin Annie teilt diese erbsenzählerische Begeisterung nicht wirklich, begleitet ihn aber auf Devotionalien-Tour durch die USA noch bis aufs letzte obskure, aber beziehungsreiche Klub-Klo, wo, wer weiß, sich die endgültige Wahrheit über Tucker Crowe offenbaren könnte.

Der Erfinder dieser Figuren wirkt scheu und bedächtig. Es ist etwas sehr Ordentliches, fast betont Akkurates um diesen Nick Hornby, dem man ansieht, dass auch die Schwärze in seinem Gemüt häufig zu Gast ist. Gefragt, wie viele Duncans er kenne, sagt er: "Viele. Unter meinen guten Freunden ist keiner, der sich nicht mit wenigstens einer Sache allzu intensiv beschäftigt. Wer so etwas nicht hat, dem misstraue ich." Er selbst verehrt Bruce Springsteen, gewiss nicht pathologisch, aber doch genug, um drei Bootleg-Alben der 1978er-Tournee aufzubewahren. "Die unterscheiden sich eigentlich nur in ihrem Zugaben-Teil, deshalb hab ich's bei drei Alben belassen", sagt der Autor lächelnd.

Am Schreibtisch war er kaltherzig genug, den verschollen geglaubten Star Tucker Crowe nicht mit seinem größten Fan Kontakt aufnehmen zu lassen, sondern ausgerechnet mit dessen Freundin Annie. Die ist Kuratorin des Heimatmuseums in dem armseligen Kaff Gooleness und seilt sich mithilfe eines hinreißend unfähigen Therapeuten peu à peu von Duncan ab - und Tucker Crowe tut dazu bald ein Übriges.

Die Kritiken waren bislang nicht allzu euphorisch. Die "FAZ" nannte Hornby einen "wertekonservativen Trostprediger", die "FAS" warf ihm vor, "kindische, alberne Sachen" zu schreiben. "Ich hätt's gern, wenn mein Leben wäre wie ein Bruce-Springsteen-Song", sagt Rob, der Held in "High Fidelity". "Ich weiß, ich bin nicht 'born to run'; ich weiß, dass meine kleine Straße nicht die Thunder Road ist. Aber das Gefühl kann doch dasselbe sein, oder?" Ein ähnliches Lebensgefühl tröstet auch Duncan über sein erschütternd langweiliges Leben. "Juliet, Naked" zeigt aber auch eine andere Wahrheit: dass, aus der Nähe betrachtet, noch jede Thunder Road zur Vorortstraße schrumpft.