Ein ganz persönlicher Blick zurück in die 70er-Jahre - als “Twix“ noch “Raider“ hieß, ABBA “S.O.S.“ funkte und Fernsehen kaum Werbung kannte.

Hamburg. Ich erinnere mich noch genau. Mit zitternden Fingern saß ich im Spätsommer 1975 vor meinem Telefunken-Kassettenrekorder und hoffte inständig darauf, dass ABBAS "S.O.S." es wieder in die Deutschlandfunk-Hitparade geschafft hatte. Zwar war der Mittelwellen-Empfang am Abend stark verrauscht, und da ich mit Mikro aufnahm, bestand überdies die Gefahr, Nebengeräusche wie den mütterlichen Ruf "Komm jetzt endlich zum Essen!" auf die BASF-Kassette zu bannen, doch das war nebensächlich. Hauptsache, ich hatte diesen Hammersong, dessen Text bereits in der "Bravo" abgedruckt worden war, endlich im Kasten.

Ist lange her, aber plötzlich wieder sehr präsent - dank der ersten Ausgabe des Magazins "kult!", das sich ausnahmslos mit den (im Rückblick jedenfalls) seligen 60er-, 70er- und 80er-Jahren beschäftigt. Auf 100 Seiten wird da hemmungslos in die Retrokiste gegriffen: Vom Bonanza-Rad - Mitte der Siebziger der Traum aller Jungs, natürlich mit Fuchsschwanz! - bis zur Erinnerung an die "Musikladen"-Sendungen bei Radio Bremen reicht die Bandbreite.

Und apropos "Bravo": Da musste irgendwann eine harte Entscheidung getroffen werden. Sollte das knappe Taschengeld weiterhin für das wöchentlich erscheinende Comic-Heft "Zack" mit seinen vielen bunten Abenteuern draufgehen oder doch lieber in die zunehmend aufregenderen Botschaften von Dr. Sommer & Co. investiert werden? Die Entscheidung fiel zugunsten von Aufklärung und Pop - auch wegen des Alice-Cooper-Starschnitts, der für den ersten größeren Pubertätskrach sorgte, denn meine Eltern fanden den bald lebensgroß im Kinder-, äh, Jugendzimmer hängenden Schockrocker schlicht "fürchterlich".

Natürlich ist die Geschichte der "Bravo" auch in "kult!" ein großes Thema - ebenso wie die TV-Mehrteiler der Weihnachtszeit, die mittlerweile in dicken DVD-Boxen Auferstehung feiern. Da kommt Kartoffelquetscher Raimund Harmstorf ("Der Seewolf", "Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren") ebenso zu seinem Recht wie die unvergessenen Fernsehabenteuer "Zwei Jahre Ferien" und "Lockruf des Goldes".

Was waren das für spannende Fernsehnachmittage in den Ferien, die auch noch perfekt zwischen den Jahreshöhepunkten Weihnachten (gibt's endlich den ersehnten Dual-Plattenspieler?) und Silvester (Brot statt Böller hatte sich noch nicht durchgesetzt ...) lagen. Und alles - man glaubt's heute kaum -, ohne auch nur ein einziges Mal von Werbung unterbrochen zu sein.

Was schon fast wieder schade ist, schaut man sich die in "kult!" auf drei Seiten ausgebreiteten Werbeslogans an, die sofort in eine Zeit beamen, als "Twix" noch "Raider" hieß. "Mami, Mami, er hat überhaupt nicht gebohrt!", jubelte damals ein kleiner Bube, der just dem Zahnarzt entkommen war - natürlich dank Colgate Fluor-S. Und Stubentiger waren glücklich, wenn Frauchen den Napf gemäß der Devise "Katzen würden Whiskas kaufen" gefüllt hatte. Gesundheitspolitisch herrlich unkorrekte Zeiten, in denen Abenteurertypen mit durchgelaufenen Ledersohlen noch bekennen durften: "Ich geh meilenweit für Camel Filter" und ein gut eingeschenktes Glas Whisky nicht für Komasaufspiele, sondern für ultimative Gemütlichkeit stand. Motto: "Der Tag geht, Johnny Walker kommt."

Mit Alkohol hatte ich Mitte der Siebziger noch nicht viel am Hut, auch wenn in der elterlichen Wohnzimmer-Bar bunt schimmernde Flaschen mit "Schwarzer Kater", "Escorial grün" und "Persico" lockten.

Dafür zog mich umso mehr die "wilde Frische von Limonen" an. So sehr, dass ich beim großen Wochenendeinkauf im nahe gelegenen Elbe-Einkaufsmarkt darauf drängte, die mit diesem Spruch beworbene "Fa"-Seife zu kaufen. Nicht wegen des Dufts natürlich oder der Waschkraft, beides eher durchschnittlich, sondern wegen der knapp bekleideten Werbe-Schönheiten. Die glitten in heute legendären Fernsehspots durchs schäumende Meer oder verteilten gar splitterfasernackt weißen Seifenschaum auf ihrer braunen Haut.

Für einen Vierzehnjährigen war das fast so aufregend wie die auf dem Schulhof heimlich herumgereichte Ausgabe des "Sexy"-Magazins, das - manche Dinge vergisst man nie - mit einer prallen Blondine im durchsichtigen Plastikkostüm punktete. Lange nicht mehr gesehen, ob es das inzwischen vielleicht bei Ebay gibt? Wäre aus Gründen der Nostalgie einen Sofortkauf wert.

Ebenso wie ABBAs legendäre "S.O.S."-Single. Die ist schon für 5,94 Euro zu haben und hat gegenüber der einst bespielten Kassette einen großen Vorteil: Es gibt sie immer noch.

kult! 200 Seiten, 6,50 Euro, erhältlich im Zeitschriftenhandel; Infos im Internet: www.goodtimes-magazin.de