Herta Müller kam, las - und schrieb ihren Namen. Hunderte Male. Alle wollten das Autogramm der Nobelpreisträgerin ins frisch erworbene Werk.

Hamburg. "Schön hinten anstellen, bitte...", diesen gezielt süffisanten Unterton bekommen Literaturkritiker der "Zeit" normalerweise nur selten von Verlagsvertreterinnen zu hören, wenn es um Begegnungen mit Groß-Autorinnen geht. Doch für eine Widmung der Nobelpreisträgerin Herta Müller fädelt sich auch ein Ulrich Greiner genügsam in das hintere Ende der langen Warteschlange ein. Zur Belohnung gab's eine nicht mehr ganz so schwungvolle Unterschrift ins Sammlerstück.

"Sütterlin wird das bald", frotzelte Müller angesichts der von ihr geforderten Autogramm-Mengen zu später Stunde, die der Leserlichkeit ihrer Handschrift eher abträglich sind. Manche bringen offensichtlich liebevoll zerlesene Exemplare, die meisten sind brandneu. Ganz Mutige legen gleich ein halbes Dutzend zur Wertsteigerung vor. Sogar einige der Fotografen können nicht widerstehen. Müller, unter den strengen Augen der Verlags-Pressedame, fügt sich in ihr Schicksal. Einen Nobelpreis bekommt man nur einmal im Leben. Schreiben und Unterschreiben sind zwei Paar Schuhe, Mühe macht beides.

Wir sind im Foyer des Rolf-Liebermann-Studios, in das die Wahl-Berlinerin und Rumäniendeutsche per Auto angereist ist, um aus ihrem Roman "Atemschaukel" zu lesen. Dutzende von frischgebacken wirkenden Herta-Müller-Bewunderern stehen geduldig an, die meisten schon in leicht fortgeschrittenem Alter und weiblich. Gediegenes Bildungsbürgertum, Literaturhaus-Klientel. Kaum Handy-Fotos, dafür ist man zu gut erzogen, kein Drängeln, dafür aber viele eigenwillige Kopfbedeckungen auf Frauenköpfen. Für Nachschub an Gedrucktem sorgte die Literaturhaus-Buchhandlung Samtleben, die Müllers Werkkatalog der geneigten Neu-Leserschaft offeriert. Mengenrabatt gab es aber auch bei diesem ambulanten Sonderverkauf nicht, dafür ist die Buchpreisbindung ein viel zu heiliges Gut, betont die Fachverkäuferin amüsiert. Auch Müller-Fanartikel, die in anderen Branchen des trendbewussten Showgeschäfts das sicherste Zeichen für flotte Vermarktung wären, waren nicht im Sortiment. Im Kino kostet Überlänge bekanntlich extra, hier waren die Eintrittskarten preislich unverändert; kein Nobelpreis-Aufschlag, weder an der Abendkasse noch beim Honorar für die Autorin. Muss ja auch nicht mehr sein, bei rund einer Million Euro Preisgeld.

Greiner war nicht der Einzige aus der hiesigen Buch-Branche, der die Chance für das persönliche Kürzestgespräch nutzen wollte. Auch die ehemalige Literaturhaus-Chefin Ursula Keller kam strahlend an den Signiertisch, an dem Müller mit rechts schrieb und mit links rauchte, tirilierte etwas von einem "wunderbaren Abend" und ging verzückt und für ihre Zielgruppe gut sichtbar von dannen.

Schon gut eine Stunde vor Beginn der restlos ausverkauften Literaturhaus-Veranstaltung hatten Interessenten mit "Karte gesucht!"-Schildchen geduldig den Eingang umkreist, während Müller am Hintereingang des NDR-Gebäudes noch schnell eine Beruhigungszigarette rauchte, vom Markenzeichen-Pony bis zur Blocksohle in Schwarz, mit dem scheu-kritischen Blick einer kritisch-distanzierten Autorin, die es immer noch nicht fassen kann, was ihr da mit dem Telefonat aus Stockholm widerfahren ist. Hunderte von Briefen, Anrufen und Mails habe sie erhalten, nun hofft sie, "dass sich das alles bald beruhigt", denn "den Preis haben die Bücher bekommen, nicht ich". Anfragen für solche Auftritte gebe es en masse, sie könnte die nächsten Monate mühelos damit füllen.

Dass sie das garantiert nicht will, zeigt die Körpersprache, mit der Müller ihren Auftritt zunächst stumm und vielsagend kommentiert. Verspannt, verknotete Beine. Ein Öffentlichkeitsprofi ist sie nicht, die Entspannung stellt sich nur sehr langsam ein. "Das Schreiben ist eine Sache des Alleinseins", meint sie, "Schriftsteller ist man nur, wenn man mit sich am Schreibtisch ist. Was ich jetzt mache, ist ein anderer Beruf."

Müllers Literatur ist für solche Veranstaltungen eigentlich nicht gemacht - und ganz bestimmt nicht gedacht. Immer geht es um Schmerz, um Angst, Vertreibung und Verzweiflung. Auch "Atemschaukel" ist solch ein Buch; es erzählt von den Erlebnissen eines Verschleppten. Müller arbeitete zunächst mit dem Autor Oskar Pastior an diesem Stoff und berichtet mit ruhiger Andacht davon, wie sich aus Erinnerung und Fantasie ein Charakter formte. "Er sagte oft, komm, wir flunkern." Ein erster Szenen-Lacher aus dem Publikum, die Erzähl-Blockade der Erzählerin löst sich. Am Ende hat Müller das Publikum ganz und gar auf ihre Seiten gezogen. Großer, dankbarer Applaus, danach das Signier-Nachspiel. Als auch das vorbei ist, plaudert die Star-Autorin, die sich noch nicht an diesen bleibenden Status gewöhnt hat, noch ein wenig mit Bekannten. Dann wird sie von ihrer Pressedame wieder aus der Bildfläche gezogen, hinter die Kulissen.

Die Aufzeichnung der Lesung sendet NDR Kultur am 13. Dezember (20 Uhr) im "Sonntagsstudio".