2006 war Andrea Maria Schenkels “Tannöd“ der Sensationserfolg auf dem Buchmarkt. Jetzt gibt's die Bühnenfassung des Krimis im Schauspielhaus.

Hamburg. Über Tote soll man nicht schlecht reden. Dieser hehre Kodex gilt nicht im Fall der Familie Danner, ganz besonders nicht für den alten Danner: Eigenbrötlerisch sei der Bauer gewesen, geizig, brutal und unberechenbar, erzählen sich die Dorfbewohner. Die inzestuöse Verbindung zwischen Vater und Tochter war ein offenes Geheimnis.

Aber der grausame Sechsfach-Mord auf dem Tannöd-Hof, bei dem der Bauer, seine Frau, die Tochter mit den beiden Kindern und die neue Magd mit der Spitzhacke erschlagen wurden, übersteigt jegliche Vorstellungskraft. Heute redet man nur noch vom Mord-Hof, wenn man den Tannöd-Hof meint.

Die Bühnenfassung von Maya Franke und Doris Happl basiert auf der gleichnamigen Buchvorlage von Andrea Maria Schenkel - angelehnt an eine wahre Begebenheit und vor Jahren der Sensationserfolg auf dem Buchmarkt. Am Freitagabend erlebte das Stück (Regie: Crescentia Dünßer) seine viel beklatschte Premiere im Malersaal.

Frank und Happl tasten die Grundstruktur des Textes nur geringfügig an. Der Mordfall wird aus wechselnden Perspektiven erzählt, 21 insgesamt - Postbote, Pfarrer, Mägde und Kinder -, die von acht Schauspielern (u. a. Jürgen Uter, Helene Grass, Marie Leuenberger) vorgetragen werden. Es sind Monologe, aufgebrachte Anklagen und Rechtfertigungen, die die Dorfbewohner an das Publikum richten. Dieses fungiert gleichsam als Tribunal, puzzleartig muss es nach und nach zusammensetzen, was sich ereignet hat an jenem Tag, als eine ganze Familie ausgelöscht wurde, und wie es dazu kommen konnte.

Rund hundert Minuten schaut man zu, wie sich das Verbrechen langsam seinen Weg bahnt. Stärker noch als bei der Verfilmung, die im November in den Kinos startet, wird man bei der Bühnenfassung zum stummen Zeugen der unter der Oberfläche brodelnden Ungeheuerlichkeiten.

Die Bühnenkonstruktion konzentriert sich auf das Allernötigste und setzt umso mehr auf die Macht der Sprache, die Blicke und Gesten der Figuren. Die Schauspieler nehmen auf gegenüberliegenden Stuhlreihen Platz, in der Mitte fungiert ein drehbarer Holzverschlag als Hofscheune, Durchgang und nicht zuletzt: als Sarg. Mehr braucht es nicht, um das Grauen zu evozieren und Bilder im Kopf freizusetzen.

Da werden Kreuze an die Holzwände genagelt, für jedes Opfer eines, da wird mit aller Macht versucht, eine Form von Normalität herzustellen: Rollschuhlaufen, Blumenkästenbepflanzen und Wirtshausfeiern wirken in diesem Umfeld beinahe obszön. Und immer wieder wabern die Gebete der Dorfgemeinde durch die Luft, als könne durch sie die Schuld getilgt werden: Erlöse sie, o Herr. Doch Erlösung findet hier niemand.