Der 68 Jahre alte Tenor überzeugte als Bariton in einer ansonsten eher flauen Premiere des Stücks von Giuseppe Verdi.

Berlin. Seit die Berliner Lindenoper intendantenlos ist, regiert hier das Prinzip "Barenboim & Friends" noch ungenierter. Kein ordnender oder intellektuell planender Geist funkt mehr dazwischen. Jetzt dirigiert der als Verdi-Dirigent bisher noch nicht restlos überzeugende Daniel Barenboim "Simon Boccanegra", ein kaum populäres Stück, das von der Deutschen Oper in Berlin erst vor drei Jahren an die Regietheaterwand gefahren wurde.

Unter den Linden hat jetzt der kaum bekannte und augenscheinlich auch nicht weiter wichtige italienische Schauspiel-Regisseur Federico Tiezzi für Auf- und Abgänge sowie hilfloses Opernarmwedeln gesorgt. Die komplizierte, über mehrere Jahrzehnte reichende Geschichte über einen genuesischen Dogen, der vorher Korsar war, dessen Jugendliebe an Standesdünkel zerbrach und dessen verheimlichte Tochter schließlich seinen Feind heiratet, während er selbst (von einem anderen Intriganten vergiftet) effektvoll stirbt - diese Geschichte reduziert sich zwischen Pappquadern und goldener Gotik-Laubsägearbeit auf einen brokatgefütterten Kostümschinkentoast im ligurischen Reichskanzleistil. Der wird bunt beleuchtet und ist oft unfreiwillig komisch.

Diese flach-flaue Premiere, mit der Mailänder Scala koproduziert, ist eine schnell zu vergessende Rampe, von welcher der berühmteste lebende Opernsänger einen singulären Versuch startet, um diesmal zum vokalen Tiefflug abzuheben: Plácido Domingo, der am 23. September 1959 in Mexiko-City erstmals die kleine Baritonrolle des Höflings Borsa im "Rigoletto" sang, wagt sich an eine neue Rolle: nicht den im Verdi-Tenorkosmos eher sekundären Gabriele Adorno, den er längst schon gesungen hat wie 124 andere Opernrollen auch, nein, der Titelprotagonist des "Simon Boccanegra", eine der nobelsten und menschlich tiefsten Partien der ganzen italienischen Opernliteratur, sollte es sein. Auch das freilich ist für das Stimmwunder Domingo keine Premiere. Auf CD hat er bereits Rossinis "Figaro" eingespielt, in der Zarzuela "Luisa Fernanda" ist er inzwischen in die für ihn etwas nach oben transponierte Baritonrolle gewechselt.

Der offiziell 68-jährige Domingo eroberte sich hier nun keine kleine Nebenrolle in einem Randwerk, sondern eine zentrale Partie. Vorsichtshalber im nicht so verdi-strengen Deutschland, doch nach der Scala sind bereits Gastspiele auch in London und New York terminiert. Domingo ist ein Sänger, der sich sein charakteristisches Timbre unglaublich frisch gehalten hat, der kaum Vibrato kennt und keine Kurzatmigkeit. Dem man zwar immer nachgesagt hat, sein Tenor sei baritonal und von bronzener Farbe. Doch interessanterweise blieb er jetzt als Bariton ebendiese Schattierungen schuldig. Hier singt ein Tenor eine Baritonrolle, bleibt aber in der Klangcharakteristik immer Tenor.

Plácido Domingo gibt dieser durchaus zwiespältigen Verdi-Figur Kraft, Würde und Wärme, er ist leidenschaftlich und souverän bei der Sache, mit herbstlich strahlenden, rotgoldenen Tönen.

Daniel Barenboim steuerte die für das spezifisch nachtschwarze "Simon"-Klanggewand, Verdis geliebte "tinta", eigentlich ideal aufgestellte Staatskapelle immer einige Dezibel zu laut aus. Die von ihm meist zu langsam genommene Partitur bekommt so etwas brachial Teutonisches; wovon auch die sonst vorzüglichen Chöre betroffen sind. Star-Theater also, in Berlin eher selten, und dann auch noch von der schönsten, weil im Zentrum künstlerisch erfüllten Sorte. Zumindest vokal, das ist ja bei der italienischen Oper das Wichtigste. Die dabei waren, sind also nun gerührte wie begeisterte Zeugen eines - winzigen - Stücks Operngeschichte. Was für ein unvergesslicher Abend!

Weitere Termine: 27., 30. Oktober, 7., 10., 13. November, 27., 30. März. Karten: T. 030/20 35 45 55