In der Musik von Sofia Gubaidulina wird Klang zum Drama. So war es ein Schauspiel für sich, die Komponistin bei dem Konzert zu beobachten, das der NDR aus Anlass ihres 78. Geburtstags in der Reihe “das neue werk“ gab.

Hamburg. Gespannt bis in die Fingerspitzen, mit unablässig arbeitenden, zu Fäusten geballten Händen folgte die Jubilarin ihrer Musik und fieberte mit jeder Note.

Dabei bestand zum Daumendrücken kein Grund: Die NDR-Sinfoniker unter der präzisen und souveränen Leitung von Stefan Geiger waren glänzend disponiert. Und je länger der Abend dauerte, umso intensiver wurde die Musik.

Eher amüsant als ergreifend wirkte noch das Geschwätz vierer redseliger Blechbläser in dem instrumentalen Theater Quattro. "Am Rande des Abgrunds" für sieben Celli und zwei Aquaphone - eines davon gespielt von der Jubilarin - offenbarte schon mehr vom Geheimnis Sofia Gubaidulinas: Ihre Musik lebt von einem Klang, der ohne den Umweg über kunstvolle Formen mit der Unmittelbarkeit eines Naturereignisses direkt zur Seele spricht. Schier überwältigend wurde dies in den kraftvollen Obertonklängen von "Risonanza" für sieben Blechbläser, sechs Streicher und Orgel hörbar.

Deutlich karger, aber dafür von beklemmender Intensität war der Zyklus "Perception" nach Gedichten von Francisco Tanzer. Was die Entfremdung zweier Liebender mit einem toten Pferd und den Psalmen Davids zu tun hatte, blieb ein Rätsel. Doch eben deshalb hinterließ das Stück einen ähnlich verstörenden Eindruck, wie jene Träume, von denen man am Morgen nur noch die Erinnerung an einen tiefen, völlig stimmigen Zusammenhang übrig behält, für den aber im Wachen alle Worte fehlen.