Eigentlich war Gunter Gabriel am Ende, nun meldet er sich mit der Platte “Sohn aus dem Volk - German Recordings“ zurück - Kritiker staunen.

Hamburg. Eigentlich war Gunter Gabriel am Ende, nun meldet er sich mit einem Album zurück, das Kritiker staunen lässt: Obwohl er sich wie der späte Johnny Cash fremde Songs zu eigen macht, ist es sein authentischstes Werk. Warum? Weil Verlierertypen am schönsten gewinnen.

"Ich stecke bis zum Hals in der Scheiße, und trotzdem war mein Leben nie besser", sagte Gunter Gabriel (67) vor einem Jahr, als das Hamburger Abendblatt den nahezu vergessenen Country-Barden auf seinem Hausboot im Harburger Binnenhafen besuchte. Damals schien er, gerade an einem Album arbeitend, seinen Frieden mit seiner im Prinzip gescheiterten Karriere gemacht zu haben. Von seinen großen Erfolgen, die nach seinem ersten Album "Gesucht" 1973 folgten, war 2008 nichts mehr übrig geblieben. Immerhin: Den größten Teil seiner Schulden - rund 500 000 Euro - hatte er mit "Wohnzimmerkonzerten" bei Privatfeiern an jeder Ecke für 1000 Euro pro Gig oder mit Auftritten auf Truckerfesten in der Provinz abgearbeitet. Aber als Künstler spielte er damals nur noch in der "Kreisliga", wie er sagte. Sein Leben auf der Überholspur endete auf dem Standstreifen.

Allerdings war Gabriels Karriere nicht unbedingt ein Leben auf der Überholspur, sondern ein Lkw-Elefantenrennen in den Kasseler Bergen. Oft genug scherte Gabriel wie die 30-Tonner-Diesel, die er besang, aus und setzte zum Überholen an, um seine kreativen und familiären Krisen hinter sich zu lassen. Aber meistens kam er nicht mal bis zur zweiten Hinterachse eines günstigeren Schicksals. Gunter Gabriel ist seit 20 Jahren einfach nur ein Verlierertyp gewesen.

Auch wenn es vermessen ist, Gabriels Idol Johnny Cash mit dem Wegbereiter des deutschen Country zu vergleichen, gibt es viele Parallelen. "Ich habe meinen Rücken immer gerade gehalten - und meinen Mittelfinger übrigens auch", sagt Gabriel über sich, vielleicht das in Fachkreisen berühmte Stinkefinger-Foto von Cash im Hinterkopf. Beide ritten im Galopp durch die Sickergrube des Lebens, in der es ihnen (siehe oben) gerne bis zum Hals stehen durfte, solange keiner Wellen machte. Gabriel stand sich selber oft breitbeinig im Weg, verschliss vier Ehefrauen und ungezählte fremde Bettlaken, griff zur Pulle und zu Drogen: "Ich hab 'ne Menge Mist gebaut." Man möchte, dass er es nur aus folkloristischen Gründen sagt, weil es zum Image des Country-Barden passt und sich so schnell ein Buch wie die aktuelle Autobiografie "Wer einmal tief im Keller saß. Erinnerungen eines Rebellen" füllen lässt. Aber leider stimmt es, auch musikalisch.

Gabriels Platten klangen in den 80ern und 90ern so spektakulär wie Fahrtenschreiber-Scheiben. Wie für "Dieselknechte" (Albumtitel 1989) auf der A 7 gemacht: arme Schweine, die wissen, dass permanente Bielefelder Bodenwellen-Massagen nicht romantisierungswürdig sind. Die Hits des Mannes, der den Spruch "Hey Boss, ich brauch mehr Geld" zum allgemeinen Sprachgut machte, blieben aus. "Mich wollte ja keiner mehr, ich habe ja auch eine Menge verbrannter Erde zurückgelassen", sagte Gabriel rückblickend.

Ein Status, mit dem auch Johnny Cash in den 80ern leben musste, bis er ab 1994 mit den American Recordings wieder zur Pop-Ikone aufstieg. Angeregt und produziert von Rick Rubin interpretierte Cash Songs von Danzig, Tom Waits, Sting und Beatles mit einer Inbrunst, Ausstrahlung und Leidenschaft, dass man kaum noch glauben kann, dass ein Song wie "Hurt" von Industrial-Metal-Guru Trent Reznor (Nine Inch Nails) stammte. Ein Mann, der am Ende war und auch so klang.

Da wundert es kaum, dass Gabriel sein eingangs erwähntes neues Album "Sohn aus dem Volk - German Recordings" nennt. Bereits 2003 nahm er mit Cash-Sohn John im Studio des Idols das Album "Das Tennessee-Projekt" mit eingedeutschten Cash-Hits auf. Nun geht er den Weg konsequent inspiriert weiter und singt wie in "American Recordings" eigene und fremde Songs im akustisch reduzierten, von Wolfgang Stach (BAP, Guano Apes, Bosse) hervorragend produzierten späten Cash-Stil. Warner Records, bereits mit Nena und Udo Lindenberg auf der Erfolgsspur der Rückkehrer, witterte das Comeback und griff zu. Country hat schließlich in Deutschland längst die CD-Regale der "Trucker-Ecken" in Autobahnraststätten verlassen, in denen Tom Astor und Truck Stop neben "Manfred"-Wimpeln und DVDs Marke "Total versaute Trucker-Bräute" verstaubten.

Neo-Country-Bands wie The BossHoss aus Berlin füllen längst große Hallen.

Zeit also, den deutschen Country-Pionier von der schiefen Autobahn zu holen. Und so grummelt Gabriel nun den Peter-Fox-Hit "Haus Am See" im Delta-Blues-Stil, zitiert Ideals "Blaue Augen" und intoniert mit The BossHoss David Bowies "Heroes". Nicht immer klingen Gabriels Cover-Versionen so überzeugend wie sein neuer eigener Song "Ich geb den Rest für dich", aber am Ende der "German Recordings" gibt es einen wunderschönen Höhepunkt mit dem Zeug zum Song des Jahres, der alleine den Kauf des Albums lohnt: "Ich bin ein Nichts". Auf Basis des Radiohead-Hits "Creep" steigern sich Gitarre, düstere Schweineorgel und traurige Mariachi-Trompeten zur alles entscheidenden Frage als Rückblick nach 67 Jahren: "Was hab ich erreicht, was hab ich, das bleibt? Handvoll Kinder, Handvoll Frauen, verletzt und abgehauen. Ich bin ein Nichts, ich bin ein Niemand. Ein winziges Detail mit ein paar Liedern." Ein authentisches Schlusswort von einem Mann, der - obwohl er sich immer als Siegertyp gesehen hat - am Ende war und auch so klingt.

Und jetzt, wo es nichts mehr zu verlieren gibt, sind alle da, die Gabriel als gescheiterten "Schlagersänger" in die Klatschspalten abgeschoben hatten, wenn er mal wieder "Mist gebaut" hat. Tageszeitungen, Magazine und TV-Sender reißen sich um ihn, nicht nur weil "German Recordings" ein erstaunliches und ungewöhnliches Gabriel-Album ist, sondern weil sie die große beliebte Von-der-Null-zum-Held-Geschichte erkannten.

Das Feld des Comebacks ist bereitet, und das Abendblatt trifft Gabriel nach einem Jahr wieder - nicht im Binnen-, sondern am Flughafen, nicht nach dem Wäschewaschen, sondern nach einem wochenlangen PR-Marathon. "Klar, jetzt kommen viele Typen angekrochen, die noch vor Kurzem 'Hau ab' gerufen haben, wenn sie mich gesehen haben. So ist das. Aber jedes Lob, jede nette Begrüßung vergrößert mein kleines Glück. Wenn die Platte dazu beiträgt, war sie es wert. Mehr will ich nicht. Hmm, doch. Eine schöne Frau, ja." Und sollte es so weit kommen, dass ein paar Euro übrig bleiben, dann kann ihn das nicht schrecken: "Ich habe doch schon alles gehabt. Und wofür? Was soll ich mit einem Jaguar, einem Maserati? Auf diese Scheiße falle ich nicht noch mal rein."

Gunter Gabriel: Sohn aus dem Volk - German Recordings CD, Warner, ab 23.10. erhältlich, Release-Konzert 22.10., 20.00, Knust, Neuer Kamp 30, Eintritt 15,-