Ole von Beust plädierte als Eröffnungsredner des privat finanzierten Theaterfestivals für das staatliche Subventionssystem. Jan Bosses “Werther“ vom Maxim-Gorki-Theater Berlin wurde vom Publikum heftig gefeiert.

Hamburg. Das Premierenvolk ist im Lästern geübt, und bisweilen beginnt das Theater schon vor der Vorstellung. So auch beim Auftakt des Hamburger Theaterfestivals im Thalia-Theater. Dass selbst der Bürgermeister gekommen war, wurde im Parkett des Hauses durchaus registriert. Wohlwollend - und nicht ganz ohne sanften Spott. Denn es war nicht etwa "der Dohnanyi?", wie sich manch einer nach der Ansage "Der Bürgermeister kommt" süffisant lächelnd versicherte. Der war natürlich auch da, geht aber regelmäßig ins Theater und ist insofern keine Nachricht. Gemeint war diesmal tatsächlich Ole von Beust. Der amtierende Erste Bürgermeister, sonst nicht eben als Freund großer Dramatik verschrien, eröffnete das Hamburger Theaterfestival mit einem Grußwort - während die Kultursenatorin bei der Verleihung der Rolf-Mares-Preise im Ernst-Deutsch-Theater zeitgleich vor den lokalen Theatermachern sprach (siehe Kasten). Auf der Bühne würdigten die Redner die jeweils andere Veranstaltung keines Wortes. Im Foyergewisper hingegen wurde hier wie dort spekuliert, ob das Berliner Gastspiel gegen die an der Mundsburg versammelte Szene nun etwa "gewonnen" hatte.

Wie auch immer man das bewerten mag - gewonnen hat in jedem Fall das Publikum. Denn das erste Hamburger Theaterfestival ist natürlich nicht tatsächlich das erste Hamburger Theaterfestival - es gab bereits die noch sehr viel umfangreicheren Autorentheatertage am Thalia, es gibt das spartenübergreifende Internationale Sommerfestival auf Kampnagel sowie manch kleinere und nicht weniger ambitionierte Initiative. Das neue Hamburger Theaterfestival aber ist trotzdem bemerkenswert. Natürlich wegen der ausgezeichneten Gastspiele, außerdem aber aufgrund des bürgerlichen Engagements, das dahintersteckt. Öffentliche Gelder nämlich hat es von der Stadt nicht gegeben. Initiator Nikolaus Besch sammelte bei denen, die trotz Wirtschaftskrise bereit waren zu geben. Auf der Festival-Website laufen seither zum Dank die Förderer- und Unterstützernamen als rote Ticker-Endlosschleife über den Bildschirm.

Die Ironie dieses also rein privat finanzierten Abends lieferte von Beust auf der Bühne: mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die Unerlässlichkeit staatlicher Subvention. Er reagierte damit auch auf den Vorschlag des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Straubhaar, der im Hamburger Abendblatt die Abschaffung der Subventionen und die Einführung eines Gutschein-Systems angeregt hatte: "Ein kreativer Vorschlag, aber davon halte ich nichts. Wenn Kunst und Kultur sich nur nach der Nachfrage richten, werden sie nie Raum haben für Neues und Provokatives. Der Mensch sucht nach Vertrautem, die Aufgabe des Staates ist es aber auch, der Kultur Neues zu ermöglichen." Die Festival-Idee von Nikolaus Besch sei zwar "genial" gewesen, der Zeitpunkt aber "suboptimal". Weshalb das Neue hier eben doch privat verwirklicht wurde.

Einer der Mitverwirklicher, der Unternehmer Ian Karan, der dem Kuratorium der Stiftung Hamburger Theater Festival vorsitzt, brachte in seinen Eingangsworten die Lust auf solch ein Engagement umstandslos auf den Punkt: "Hamburger Theaterfestival - ist das nicht toll?" Ist es. Zumal diese Eröffnungspremiere: "Die Leiden des jungen Werthers", eine Inszenierung des Berliner Maxim-Gorki-Theaters von Jan Bosse aus dem Jahr 2006. Sie brachte alte Bekannte auf die Thalia-Bühne zurück. Hans Löw und Fritzi Haberlandt spielen Goethes unglücklich Liebende, Werther und Lotte ganz in blassem Weiß, zwei Sturm-und-Drang-Geister in kühler ästhetischer Übereinstimmung. Als Lottes Verlobter Albert prollt Ronald Kukulies dagegen aufs Allerfeinste, im schlecht sitzenden Jackett ist er auch optisch der Außenseiter. Jan Bosse zeigt eine Dreierkonstellation, die sich auch über Stil-Nuancen erzählt.

Seine Darsteller, allen voran Hans Löw, dieser flirrend Hochsensible, balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Ironie und Pathos. Sie schwanken von Emphase zu nüchternem Realismus, pendeln permanent zwischen Nähe und Distanz - zum Publikum, zur Souffleuse, zueinander. In ihrer Verzweiflung, ihrem Weltschmerz, ihrem Ennui aber bleiben sie ganz bei sich; eine Konzentration, die sich nach Kalauern wie dem Bonbon-Verteilen in den ersten Reihen mitunter erst wieder finden muss: Es gibt, was sonst, "Werthers Echte". In einem dreiteiligen Spiegel schaut sich das Publikum derweil beim Zuschauen zu. Ihm gefällt, was es sieht - minutenlanger Applaus ruft die fabelhaften Schauspieler nach Vorstellungsende wiederholt auf die Bühne.

Der Bürgermeister ist da längst nicht mehr auf seinem Platz. Ihn riefen andere Verpflichtungen, der Sport, hatte er sich vorab mit einem Lächeln entschuldigt: "Sie sehen, die Welt ist bunt." Wer wollte da widersprechen, schon gar im Theater.

Hamburger Theaterfestival bis 28. Oktober. Heute, 20 Uhr, läuft noch einmal "Die Leiden des jungen Werthers" am Thalia-Theater, morgen und am Donnerstag gastiert dort das Wiener Burgtheater mit Barbara Freys "Sturm", Infos und Tickets im Internet unter www.hamburgertheaterfestival.de