Jimmy Hartwig war in seinem ersten Leben Nationalspieler und HSV-Star. Jetzt ist er Schauspieler: “Und ich glaub, ich mach's gut.“

Leipzig. Die Wahrheit liegt noch immer aufm Platz. Nur der Platz liegt inzwischen woanders. "Büchner/Leipzig/Revolte" steht in großen Lettern auf den Postern im Leipziger Centraltheater, als Posterboy blickt mit heiligem Ernst Jimmy Hartwig aus dem Bild. Der einstige Fußballstar - Nationalspieler, dreimal Meister mit dem HSV, 63 Tore in 244 Bundesligaeinsätzen - spielt "inzwischen zweite Bundesliga". So nennt er das. Mit Stolz. Und meint sein neues Leben. Denn Jimmy Hartwig ist jetzt das, was ihm schon in seiner Kickerkarriere bestätigt wurde - nur war es damals gar nicht nett gemeint: Jimmy Hartwig ist Schauspieler.

Zum vierten Mal steht er auf einer Premierenbühne, zum ersten Mal in Leipzig. Aufgestellt hat ihn sein Mentor, der Schauspieler und Regisseur Thomas Thieme, der über seinen Zögling sagt, er habe "die Kraft eines Stieres und die Seele eines kleinen Jungen".

"Und ich glaub, ich mach's ganz gut", sagt Jimmy Hartwig selbst entwaffnend unbescheiden. Klopft sich auf den Bauch und lächelt. Bescheidenheit war auch in seinem ersten Leben nicht seine auffallendste Stärke. "Innerhalb des HSV war er eine Mannschaft für sich", erinnern sich Sportreporter, wenn man sie fragt. Die meisten verdrehen bei seinem Namen grinsend die Augen. Als er in Weimar 2002 im "Baal" debütierte, spotteten nicht wenige, ob er das vielleicht mit "Ball" verwechselt habe. "Wer viel macht, macht viel verkehrt", sagt Hartwig dazu und zuckt mit den Schultern. "Wenn ich irgendwo reinkomme, steh ich halt im Mittelpunkt."

Genau diese Qualität nutzt Thomas Thieme für den Woyzeck, den Hartwig in der Leipziger Revolutions-Collage spricht. Er lässt ihn einfach dastehen, kerzengerade, Bühnenmitte, fast die gesamte Zeit. Und es funktioniert. Mit weißer Feinripp-Unterwäsche über dem kräftigen Leib spricht Jimmy Hartwig mit hessischem Zungenschlag den Büchner-Text. "Vaddä? Vaddä!", setzt er an, das Gebet zum Auftakt hat er immer wieder geübt, wenn er nachts vom Lampenfieber aufgewacht ist. Seine Konzentration ist fast greifbar, seine Stimme trägt auch in den Rang. Wer auf eine Blamage gehofft hatte, wird enttäuscht. So merkwürdig es klingen mag: Jimmy Hartwig macht seinen Job. Nicht spektakulär, aber eben auch nicht schlecht.

Einen "historischen Kurzschluss" nennt Thieme seinen Abend über die Ohnmacht des Einzelnen in der Gesellschaft. Er verknüpft Büchners Woyzeck, der aus Verzweiflung sein Mädchen ermordet, mit den Leipziger Montagsdemonstrationen von 1989. Und eben auch, allein durch dessen Aufstellung, mit der Geschichte eines farbigen Ex-Fußballprofis, der früher in der dritten Person über sich selbst gesprochen hat und jetzt am Theater seine "intellektuelle Wandlung vollzogen" sieht. "Büchner/ Leipzig/Revolte" ist in mancherlei Hinsicht ein Abend über Ausbruch und Neubeginn. Ein Männerchor in Rentner-Beige singt "Auferstanden aus Ruinen" und "Brüder zur Sonne zur Freiheit". Dann kommt Jimmy Hartwig.

Ein Theater-Ensemble und eine Fußballmannschaft seien "vom Teamgeist her das Gleiche", findet er. "Vom Intellekt her: Welten!" Von Kickerkollegen sei er damals schon dafür verspottet worden, das "Auslandsjournal" zu schauen. Jetzt fährt er nach Salzburg, wenn Festspiele sind. "Das ist jetzt meine Welt."

Man muss wohl sagen: Der Annäherungsprozess läuft. Vor ein paar Jahren gehörte auch das RTL-Dschungelcamp zu "Jimmys Welt", und in seinem gleichnamigen Internet-Blog findet sich ein Eintrag mit dem Titel "Die begehbare Prostata". Das Private ist und bleibt öffentlich. Der Fußball ist weitgehend Vergangenheit, das Rampenlicht bleibt. Im Interview betont der Boulevard-Gewohnte auch ungefragt, dass er seine Frau sehr liebt. Das Dschungelcamp allerdings ist ihm heute peinlich. Er habe das Geld gebraucht, sagt er, und gibt dann doch zu, dass Eitelkeit wohl auch im Spiel gewesen sei. "Da ist das Gehirn weggeknallt."

Eine Einsicht, die auch ein Woyzeck-Satz sein könnte, in Leipzig, wo Hartwig zugleich ganz präsent und ganz verloren zwischen gold glitzernden Weihnachtsgirlanden steht, die als Bühnenbild vom Schnürboden hängen. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, soll das wohl heißen.

Und Hartwigs Entschlossenheit rührt. Als Thieme ihm beim Schlussapplaus über die Wange streicht, schießen ihm Tränen in die Augen. Er pustet vor Erleichterung, strahlt inmitten der Kollegen und wirkt einen Moment lang nur wie das, was er gern sein möchte: ein Theatermensch.

Vor fünf Jahren, zu seinem 50. Geburtstag, hatte er sich gewünscht, dass Jürgen Klinsmann kommt. Zum Gratulieren. Ist er nicht. Und keiner vom HSV, trotz Einladung. Aber Sehnsucht nach Hamburg hat Hartwig immer noch - bloß anders: "Das Größte wär, wenn ich in Hamburg Theater spielen könnte", sagt er. "Othello." Er sei so weit. Jimmy Hartwig will in die Erste Liga.