Ihr Mentor war Klaus Maria Brandauer, ihr Berufsgeheimnis ist die verschwenderische Hingabe an das Leben. Die Begegnung mit einer Frau, deren Charisma man sich nicht entziehen kann.

Hamburg. Nachdenken ist bei Birgit Minichmayr ein körperlicher Prozess. Fragt man sie etwas, auf das sie nicht sofort eine Antwort hat, greift sie sich in die roten Locken, sie schiebt die Finger auf den Schultern unter die Kleidträger, sie kneift sich in die Haut, sie schlingt die Arme um die Hüften und beißt sich auf die Lippen. Ununterbrochen ist sie in Bewegung. Manchmal zieht sie die Augen so schmal zusammen, dass man sich unwillkürlich bildhaft vorstellt, wie sie jetzt durch diesen Wimpernschleier auf die Welt blickt. Obwohl sie eigentlich so elegant dasitzt in ihrem schönen kleinen Schwarzen, mit den vollen geschminkten Lippen, in der edlen Hamburger Hotelbar. Nur das penetrante Eiswürfelklacken des Barkeepers im Hintergrund stört bisweilen die Unaufdringlichkeit des Ortes.

Vielleicht ist es genau das, was den Betrachter an der Schauspielerin Birgit Minichmayr so fasziniert: die Gleichzeitigkeit scheinbar unvereinbarer Gegensätze. Das Kindliche neben dem Fraulichen, das Ätherische neben dem Erdigen, das Unbekümmerte neben einer fast deftigen Erotik. Eine Hingabe an das Leben in seiner kompletten Vielfalt.

"Man liefert sich aus", sagt sie leichthin, als wäre das die größte Selbstverständlichkeit, und schüttelt dann doch heftig und kurz den Kopf. "Nein, das klingt so passiv. Es ist doch mehr Hingabe. An ein Stück, eine Rolle, einen Partner, einen Regisseur." Die Birgit "verschwende" sich, hat Monica Bleibtreu in einer Laudatio einmal über sie gesagt. Ein "Naturereignis" hat sie die Fachzeitschrift "epd Film" kürzlich genannt. Man kann es auch viel schlichter formulieren: Man kann sich nicht gegen sie wehren. Vielleicht erklärt das am besten, warum Birgit Minichmayr für die Gitti in Maren Ades Berlinale-Beitrag "Alle Anderen", der heute in den Kinos startet, den Silbernen Bären gewonnen hat und warum sie im nächsten Jahr die Rolle der Buhlschaft im Salzburger "Jedermann" übernimmt. Es ist fast logisch. Weil man sie doch ohnehin fortwährend anschauen muss.

" Ach, ich bin ein sehr verspieltes Wesen", sagt sie und lacht sofort laut los. "Das klingt gut, oder? Da hab ich es einfach mal gesagt. Bitte sehr: Ich bin ein verspieltes Wesen." Ein rauchiges, echtes Lachen ist das und, überraschend, eigentlich der einzige Moment, in dem ihre so oft als heiser beschriebene Stimme tatsächlich an den Stimmbändern kratzt und die Leichtigkeit des Gesagten einen Moment lang einzukassieren scheint. Ein verspieltes Wesen also. Das Wort "Wesen" ist es, das aus diesem Satz hängen bleibt.

Wie sie als Gitti in "Alle Anderen" durch den Sommerurlaub auf Sardinien hüpft, oft im Bikini, mal in derben Stiefeln und Allzweckjacke, erinnert sie - und nicht nur wegen der kurzen roten Locken - an einen Kobold. Aufgekratzt, aufdringlich, anstrengend, staunenswert. Ein Kammerspiel ist es, das Maren Ade mit Minichmayr und dem schlaksigen Lars Eidinger als ihrem Freund Chris inszeniert hat, ein lähmender Beziehungskampf zwischen zwei aneinander und an der Welt gelangweilten Mittdreißigern - und dabei zugleich eine soziologische Studie. "Alle Anderen", für den auch die Regisseurin auf der Berlinale einen Silberbären bekam, zeigt die generationentypische Lebenssuche einer unsicheren akademisch-großstädtischen Kreativszene. Sie PR-Tante, er Architekt. Der Zuschauer Voyeur.

Kaum eine Rolle aber wird derzeit so beispielhaft mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wie die Titelpartie in Martin Kusejs Wiener Inszenierung "Der Weibsteufel". Da ist es wieder, dieses Wesen, das Karl Schönherr einen Satz sagen lässt, den Birgit Minichmayr in diesem Stück mehr als alle anderen liebt: "Früher bin ich nur so ein leerer Teigbatzen gewesen, aber jetzt ist in dem Teig Hefe drin. Mir scheint, jetzt geh ich erst auf."

Weil er vielleicht auch auf sie selbst passt, dieser Satz. Birgit Minichmayr ist im österreichischen Pasching bei Linz aufgewachsen, der Vater in der Versicherungsbranche, die Mutter Homöopathin. Aufgegangen allerdings in einem künstlerischen Sinne ist sie erst am legendären Wiener Max-Reinhardt-Seminar, wo sie in Klaus Maria Brandauer ihren wichtigsten Mentor fand. Einen "prachtvollen Kerl" - hat nicht etwa sie ihn , sondern er sie genannt, nach ihren ersten Jahren am Burgtheater, wohin sie direkt von der Schauspielschule weg engagiert worden war. "Manchmal ist sie elf Jahre alt und manchmal so alt wie die Welt", bescheinigte Brandauer ihr. Wieder diese Gegensätze, die sie in sich vereint. Ein Spannungsfeld, das Energie erzeugt.

Vielleicht ist sie auch deshalb so hibbelig - weil sie, so banal das klingt, ständig unter Strom steht. "Ich komm nicht runter manchmal", bestätigt Birgit Minichmayr, legt den Kopf schief und schiebt wieder die Hand unter das Kleid, als müsse sie sich vergewissern, dass sie noch da ist. "Dabei kann ich eigentlich die Figuren ganz gut mit dem Kostüm ablegen." Dass die fordernden Charaktere, die sie spielt, sie über den Tag hinaus beschäftigen, legt jedoch ihr Rollenportfolio nahe: Antigone, Medea, Lady Macbeth, Ophelia - starke Frauen, versehrte Seelen. "Niemals", sagt sie nachdrücklich, gehe sie nach der Vorstellung direkt nach Hause, immer sitze sie anschließend noch in der Kantine, "Ja, immer!", mit den Kollegen, "bei einer Schorle oder einem Bier". "Ausdampfen" nennt sie das und man ahnt, dass sie nicht gern zuließe, sollte sich einer aus dem Ensemble diesem Prozess etwa entziehen wollen.

"Man ist manchmal auch maßlos mit sich", gesteht sie, die Zigaretten liegen wie zur Bestätigung auf dem Bartisch vor ihr. Gemeint aber ist wohl vor allem der oft fehlende Schlaf. "Viel Weggehen, wenig Schlaf, das hat auch Vorteile", schiebt sie ohne zu zögern nach: "Man bekommt eine ganz andere Durchlässigkeit."

So ein Begriff klingt - auf esoterische Art - fast ein wenig abgeklärt. Dass es aber bei aller Hingabe an Bühne und Kamera noch immer Grenzen gibt, lässt Birgit Minichmayr plötzlich sehr mädchenhaft wirken: Geradezu "gschamig" sei sie, wenn es um Nacktszenen gehe, sagt sie und reibt sich verlegen die runde Nase; erst im "Weibsteufel" war sie kürzlich das erste Mal auf einer Bühne oben ohne zu sehen. Ganz nackt noch nie. Sie kichert: "Na ja, im Film schon. Aber nicht gern." Und zwei eigenwillige Ängste könne sie nicht recht ablegen: die Angst, mitten in der Vorstellung Durchfall zu bekommen. Und die Angst, auf der Bühne erschossen zu werden. "Ich fühle manchmal richtig diesen roten Laserpunkt auf mir!" Glucksendes Lachen, hochgeworfene Hände. "Jaaa!", ruft sie. "Wirklich!" Der Barmann blickt von seinen Eiswürfeln auf. Und eigentlich fällt einem erst jetzt so wirklich auf, wie schmal und zierlich Birgit Minichmayr ist.