Tanztheater mit faszinierender Choreografie um Shaolin-Mönche: Die Saison auf Kampnagel beginnt stark.

Hamburg. Am Anfang ein Spiel im Spiel: Der Choreograf und der kleine Mönch Chi Yanting hocken voreinander. Zwischen ihnen auf der glänzenden Aluminiumbox des Regisseurs: ein Miniaturmodell von Antony Gormleys Bühne mit den 20 Holzkisten. Was sich der Mann auf dem Spielbrett ausdenkt, wird für den 13-Jährigen in "Sutra" zur Wirklichkeit. Mit vergnügter Neugier beteiligt er sich am Verschieben der Klötzchen und dann mit verblüffendem Geschick an den Kung-Fu-Kampfspielen.

Sidi Larbi Cherkaoui überträgt in seinem rituellen Tanztheater zu Szymon Brzóskas Kompositionen für Streichquartett und Schlagzeug die Gesetze des Lebens in choreografische Lehrsätze (Sutra in Sanskrit) von den widersprüchlichen Kräften, die Natur und Mensch beherrschen. So dienen die rohen, mannsgroßen, auf einer Seite offenen Holzgefäße als Bausteine für Podeste oder Klippen, aber auch als Grabnische, Lotusblüte und Zauberwald. Einzelne bieten Schutz und Stütze, werden gar zum Rettungsboot in der Not, dann aber - geschultert von den Shaolin-Mönchen - zu Lasten oder zu Hindernissen. Je nachdem, von welcher Seite man die Dinge betrachtet, verändern sie ihre Bedeutung oder Wirkung: Eine negative Kraft lässt sich in positive Energie umwenden.

Einmal wird die Kiste für den Tänzer Ali Thabet, der die Rolle des Choreografen übernommen hat, ihn aber leider nicht wirklich ersetzen kann, zum Hemmschuh. Er steckt darin fest, versucht ihn loszuwerden, schleppt ihn dann mit sich. Darum geht es in "Sutra" auch: In der Beschränkung zur Freiheit zu finden, wie es die Shaolin-Mönche mit ihren Kung-Fu-Künsten demonstrieren. Sie überwinden scheinbar die Schwerkraft und beweisen: Der Geist kann über den Körper siegen, auch über die Kistenlast des Lebens. Bewahrt man sich Leichtigkeit und Selbstvertrauen im Handeln wie ein Knabe, lässt sich Unmögliches meistern. Chi Yanting bringt mit einem Stoß die zur Diagonale aufgereihten Kisten zu Fall. Sie kippen um wie Dominosteine: Der Schüler übertrifft seinen Lehrmeister.

Das Gastspiel - ermöglicht von der Alfred-Toepfer-Stiftung, der Zillmer Kulturstiftung und der Hamburgischen Kulturstiftung - eröffnete beeindruckend die Kampnagel-Spielzeit und riss das Publikum zu Ovationen hin. Cherkaouis vieldeutige Lektion faszinierte durch ihre suggestiven Bilder und Kung-Fu-Bewegungskünste. Die geballte Energie, nicht nur in den blitzschnellen Attacken, sondern auch in der Ruhe meditativer Konzentration sprang direkt auf die Zuschauer über und schlug sie in Bann.

Sutra: 2., 3.10., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestr. 20, Karten: T. 27 09 49 49