Die Pianistin und Sängerin begeisterte das Publikum mit kraftvoll arrangierten alten Hits und neuen Songs.

Hamburg. Provozieren muss sie längst nicht mehr. Tori Amos hat von der Kehrseite der Religion bis zu verhängnisvollen Machtspielen zwischen den Geschlechtern und Missständen der Gesellschaft alles kommentiert, feministisch gedreht und gewendet und mit Künstlerblick beleuchtet. So kann sie nun passend zum Titel ihres aktuellen, zehnten Albums "Abnormally Attracted To Sin" zu einer "Sinful Attraction"-Tour laden. Der Konzertabend zumindest wurde zu einer sinnlichen Attraktion.

Der schwere Vorhang hinter der Bühne der Laeiszhalle wird zur Projektionsfläche für eine Art Zauberwald. In schwarzen Leggins und orangefarbenem Geisha-Gewand erscheint Amos, streicht zärtlich über ihren wichtigsten Partner, den guten alten Bösendorfer, schüttelt die rote Mähne und grätscht zwischen Flügel und Keyboard. Die Märchenstunde ist eröffnet.

Bevölkert ist sie von unzähligen Identitäten und Feen-Figuren, die sie schon auf dem letzten Album "American Doll Posse" nach dem Vorbild der unübersichtlichen griechischen Götterwelt besungen hat. Frei nach dem Motto "Wer bin ich - und wenn ja wie viele". Fest steht, Tori Amos ist eine Frau mit vielen Gesichtern. Für das aktuelle Album blieben da noch einige übrig.

Und so reitet die exzentrische Songwriterin aus North Carolina als feurige Aphrodite besessen ihren Klavierschemel, bevor sie sich als Athene mit kampfeslustig flackernden Augen gegen die Männerwelt zur Wehr setzt.

Natürlich beschwört sie aber auch in ihren größten Hits das zuckrige "Cornflake Girl", die "Siren" oder die "Precious Things". Dies so bombastisch arrangiert, dass die Rehe im Zauberwald verschreckt Reißaus nehmen - während die Zuschauer von wohligen Gänsehautschauern überrollt werden. Tori Amos, dieser Zeremonienmeisterin des Piano-Pop, ist keine Pose zu dramatisch. Vom neuen Album bringt sie dann doch nur einige ausgewählte Songs, wie "Give" oder "Police Me" zu Gehör.

Der dumpf grummelnde Bass von Jon Evans und das Postrock-Schlagzeug von Matt Chamberlin geben Amos' Musik eine Erdenhaftung, die ihr guttut. Anders als in früheren Shows, in denen sie schon mal die exaltierte Furie gab, sucht sie in ihrer Performance die leiseren Zwischentöne. Und die kommen im zweiten Teil des Abends zum Tragen. Auf dem Vorhang glitzert ein Sternenmeer. Und Amos hält intime Zwiesprache mit ihrem Bösendorfer. Jeder im Saal spürt, die zwei verstehen sich blind.

Das Konzert belegt eindrucksvoll, warum Tori Amos neben Björk und Kate Bush längst zu einer Art Übermutter von Feenpop-Vertreterinnen wie Bat For Lashes, A Fine Frenzy oder Soap & Skin avanciert ist. Auch die Laeiszhalle bevölkern eine Menge junger Bewunderinnen. Am Ende gibt es Standing Ovations für die sündige Magierin.