Wenn schon Illusion, dann auch Engel. Dass Autorinnen und Autoren Engel sind, ist inzwischen bekannt. Dass die Engel eingeteilt werden in solche und solche, weiß man auch. Eben in luziferische und cherubinische.

Und andauernd sind sie unterwegs, schwirren und fliegen herum. Sie haben in vielen Städten eigene Landeplätze. Die nennt man Literaturhäuser. Wenn so ein Landeplatz dann mal 20 Jahre alt wird, gratulieren wir von wo wir gerade sind. Wir können natürlich die Häuser unterscheiden nach den Menschen, die dorthin kommen.

Es kommen zwar in jedes dieser Häuser nur Gutgesinnte. Aber wir, die Engel, sind so empfindlich, dass wir auch noch unter Gutgesinnten Unterschiede machen. In Hamburg z. B. sitzen die Gutgesinnten dann ziemlich eng um einen herum, da muss man die Flügel zwar eng anlegen, aber die Sätze, die dann hin- und herfliegen sind sozusagen mundwarm. So wird die Hamburger Enge eine Art Genuss. Engel dürfen, im Unterschied zu anderen Verkehrsteilnehmern, etwas trinken. Deshalb unterscheiden sie die Häuser auch nach den Getränken. Das Sympathische in Hamburg ist, dass eins ins andere übergeht: die Bücher, die Bar und die Begegnung. Die Illusion bildet sich: Alles ist sowieso eins. Und die Illusion aller Illusionen: Die Literatur habe einen Platz in der Wirklichkeit. Wenn ich, schon mal gelandet, noch die Binnenalster entlangflattere, um, wie es sich gehört, außer Atem im Literaturhaus anzukommen, lebe ich von der Illusion, Literatur sei etwas Wirkliches. So sinnstiftend ist das Literaturhaus in Hamburg nur, weil es dergleichen in Stuttgart, in München und wahrscheinlich auch in Berlin und sonstwo gibt. Deutschland, ein Leseland bzw. Vorleseland. So will es die Illusion.

Wir gehen an diesen Abenden auseinander, wie wir zusammen gekommen sind: aus freien Stücken. Lauter Gutgesinnte. Wo gibt es das noch: so viele Gutgesinnte! Wir sind kein Verein. Wir sind aber eingeschrieben im Unsichtbaren. In der Literatur-Illusion. Und auch eine Illusion braucht ein Dach überm Kopf. Engel, die von außen nass werden, sehen nicht gut aus. Engel ohne Landeplatz wären verloren. Darum sollen ihre Landeplätze Jubiläen feiern!

Der Text ist der Festschrift "20 Jahre Literaturhaus Hamburg" entnommen.