Für kaum einen Künstler hat der rote Teppich in Hamburg so lange ausgelegen wie für den britischen Dirigenten Jeffrey Tate. Die Hamburger Symphoniker haben das Warten auf ihren neuen Chef zu einem Fest der Vorfreude gemacht.

Hamburg. Nun hat er sein Antrittskonzert gegeben - mit einem Werk, das wenig mit Glamour und Feierlaune zu tun hat, dessen Auswahl aber umso mehr darüber aussagt, wie grundsätzlich Tate seine Hamburger Mission offenbar sieht: Er hat Benjamin Brittens "War Requiem" dirigiert, ein klingendes Mahnmal gegen den Krieg, komponiert Anfang der 1960er-Jahre zum Gedenken an die Zerstörung des englischen Coventry im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Bomber.

Britten verflicht gegensätzliche musikalische und textliche Stränge zu einem Bekenntniswerk. Da treffen die hochemotionalen, subjektiven Gedichte des erklärten Pazifisten Wilfred Owen (er starb im Ersten Weltkrieg) auf die archaisch anmutenden lateinischen Liturgietexte. Solosopran, Chor und Orchester malen in erlesenen brittenschen Klangfarben oder schockieren mit Assoziationen an Krieg und Tod. Ihnen stehen zwei Männerstimmen gegenüber, hochvirtuos begleitet von einem Kammerensemble. Schon diese beiden Gruppierungen passten nur knapp auf die Bühne der Laeiszhalle; die dritte Einheit, der Knabenchor mit Orgel, musizierte vom zweiten Rang.

Angesichts dieses riesigen Apparats erstaunten die filigranen Strukturen des Werks. Britten hat seine rhetorischen und klanglichen Mittel wie stets sehr bewusst eingesetzt. Jeffrey Tate verzichtete denn auch auf hohle Überwältigungsgesten. Durchhörbar und farbig gestaltete er die komplexen Abläufe. Doch fehlte es seiner kultivierten, wohlorganisierten Deutung an emotionaler Wucht, an jener Unausweichlichkeit, die das Sujet verlangt. Gerade der Beginn klang eng, so als müssten sich die Beteiligten erst in die Musik hineinfinden. Im "Requiem aeternam" wechselten die Akkorde unscharf, die schreitenden Streicherfiguren wirkten statisch, und den Anfang des "Dies irae" bliesen die Trompeten und Posaunen recht unsauber.

Der Tenor John Mark Ainsley und der Bariton Christian Gerhaher fanden im Verlauf des Abends zu deklamatorischer Freiheit, um die präzise, markerschütternde Lyrik Owens zur Geltung zu bringen. Hier war besonders Gerhaher als Liedsänger in seinem Element. Ainsley landete bei seinen Intervallsprüngen manchmal daneben, auch im Kammerensemble zeigten sich Intonationstrübungen. Alle drei Sänger wurden von den Instrumentalisten gelegentlich übertüncht. Die Sopranistin Michèle Crider hatte zudem hörbar Mühe mit dem Tonansatz.

Dagegen war es pures Glück, mitzuerleben, wie vollendet der NDR- Chor und der staatliche Chor Latvija aus Lettland zu einem Stimmklang verschmolzen, wie ausdrucksstark und klanglich variabel die Chorsänger ihre tragende Rolle ausfüllten. Glasklar und akkurat sang der Knabenchor Bratislava aus der Slowakei. Und dass die Mitwirkenden an diesem würdigen Abend aus so vielen verschiedenen Ländern kamen, war sicherlich im Sinne von Brittens Versöhnungsgedanken.