Johanneum, Gängeviertel, Kontorhäuser - Hamburg im August 1768. In einem Klassenraum des Gymnasiums wird ein toter Lehrer gefunden. Volker Albers über einen Krimi, der zur Zeit der Aufklärung spielt.

Mit 56 hat es Ingrid Noll getan, Doris Gercke immerhin schon mit 51 - den ersten Kriminalroman veröffentlicht. Petra Oelker war 50, als sie 1997 mit "Tod im Zollhaus" ihren ersten historischen Hamburg-Krimi herausbrachte. Erfolgreich sind alle drei Autorinnen. Und das in einer Zeit, die danach giert, neue und vor allem junge Gesichter auch auf dem literarischen Markt zu entdecken.

Anders als Noll und Gercke hat sich Petra Oelker schreibend ganz auf die heimatliche Scholle konzentriert - und deren Historie als Erste auf ihre kriminellen Facetten hin ausgeleuchtet. Das kam an bei den Lesern, schließlich hatte es in Hamburg zuvor niemand gemacht, schon gar nicht auf eine derart spannende und letztlich auch aufklärerische Art und Weise. Die Zahlen sprechen für sich: Knapp eine Million Exemplare hat Petra Oelker von ihren bislang neun historischen Kriminalromanen verkauft, deren eigentlicher Held die Stadt ist: Hamburg am Ende des 18. Jahrhunderts.

Kam der Erfolg von "Tod am Zollhaus" noch überraschend, auch für Petra Oelker, so wurde mit den folgenden Romanen schnell klar: Hier hatte eine Autorin eine Marktlücke entdeckt - und sie mit genau recherchierten Fakten, verpackt in atmosphärisch stimmige Geschichten, für sich besetzt.

Was gewiss auch zum großen Erfolg dieser Bücher beitrug und noch immer beiträgt, ist das Personal, das sich Petra Oelker, die in der Nähe von Cloppenburg aufgewachsene Tochter eines Försters, ausgedacht hat. Da ist zuerst einmal eine Frau namens Rosina. Sie ist eine schöne und lebenslustige Wanderkomödiantin, die es - wie auch ihre Autorin rund 200 Jahre später - nach Hamburg verschlagen hat. Eine einnehmende Figur, deren Vorbild Friederike Caroline Neuber ist, die vielleicht erste herausragende deutsche Schauspielerin zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Neben Rosina begegnet uns der Großkaufmann Claes Herrmanns, ein durch und durch hanseatisch geprägtes Mannsbild, gleichwohl ein mit einer Reihe unkonventioneller Neigungen ausgestatteter Zeitgenosse.

Ein an sich gegensätzliches Paar, das sich aber auf das Schönste fügt. Vor allem dann, wenn es wieder mal darum geht, Menschen das Handwerk zu legen, denen es darum geht, das Hamburg jener Zeit in Angst und Schrecken zu versetzen. So wie in "Die zerbrochene Uhr", dem dritten Band in Petra Oelkers historischer Reihe, der 1999 erschienen ist.

"Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten." Es ist das achte Gebot, das Niklas Herrmanns, Sohn des Großkaufmanns Claes, deklamieren und erläutern muss an diesem Tag, der ihm noch böse Überraschungen bescheren soll. Seit einem halben Jahr erst ist Niklas Schüler an der Gelehrtenschule Johanneum, zuvor war er von Privatlehrern unterrichtet worden. An diesem sonnigen Augustnachmittag des Jahres 1768 nun bemerkt er, dass er sein Lateinbuch in der Schule vergessen hat. Glücklicherweise hat das Johanneum noch geöffnet, unglücklicherweise jedoch entdeckt er den bei den Schülern verhassten und von Kollegen gemiedenen Lehrer Adam Donner in einem der Klassenräume. Auf einem Stuhl sitzend. Schlafend. So hat es den Anschein. Aber Donner weilt nicht mehr unter den Lebenden. Was Niklas Herrmanns jedoch nicht erkennt, denn er macht sich schnell aus dem Staub, hinaus in den warmen Hamburger Sommertag.

Doch wer hatte wohl ein Interesse daran, einen zwar ungeliebten, gleichwohl aber unauffällig-einfachen Schulmeister ins Jenseits zu befördern? Einer der Schüler, die er mit seinem spitzen Spott regelmäßig zu demütigen gedachte? Einer der Kollegen, die ihn mieden, wo sie nur konnten? Oder der Uhrmacher Godard, mit dessen Werkzeug der Lehrer Donner offenbar ermordet worden ist?

Es sind nicht immer nur die lieblichen Seiten jener Epoche, die Petra Oelker - bei aller Sympathie, die die Autorin für das Zeitalter der Aufklärung empfindet - in ihren Geschichten schildert. Es geht blutig zu in den Romanen, verklärt wird da nichts. Mörderische Zeiten sind es, in die Petra Oelker ihre Figuren hineingestellt hat: Verbrechen ist eben immer zeitgemäß, auch in dem historisierenden Charme des Ambientes, der diese Geschichten umweht.

Mittlerweile ist bereits der neunte Band der Rosina-Romane erschienen - "Die Schwestern vom Roten Haus". Ist das Ende der Reihe damit in Sicht?"Rosina ist noch nicht amtsmüde", sagt Petra Oelker. "Donna Leon hat schließlich bereits ihren 16. Commissario-Brunetti-Roman herausgebracht." Und was ist Venedig schon im Vergleich zum Hamburg des 18. Jahrhunderts?