Zwischen Mythos und Aufklärung: “Bei Einbruch der Nacht“ erwachen Urängste der Menschen.

Krimi: Bei Einbruch der Nacht Sbd, 22.00 Uhr ZDF

Wölfe sind fabelhafte Wesen. Mythen und Märchen umgeben sie, nicht selten bedrohliche: Tiere der Nacht, der Werwolf ist ihre furchterregendste Inkarnation aus dem Reich der Sagen. Die französische Krimiautorin Fred Vargas bedient sich in "Bei Einbruch der Nacht" dieser uralten Ängste des Menschen, dieser "kollektiven Psychose", wie sie es nennt: ein Mann, allein mit seinem Hund in einem abgeschiedenen Alpendorf lebend, wird des Nachts offenbar zum Werwolf. Anfangs reißt er nur Schafen die Kehle auf, doch schon bald kommen menschliche Opfer hinzu.

In der Verfilmung von Josée Dayan sind es die Komponistin Camille und der kanadische Forscher Lawrence, die mit den angsteinflößenden Vorkommnissen konfrontiert werden. Zwar teilen sie nicht den Aberglauben der Dorfbewohner an Werwölfe, aber die sommerliche Idylle ist für die beiden spätestens dahin, als eine befreundete Bäuerin ermordet wird.

Lawrence, getrieben vom wissenschaftlichen Interesse an Wölfen, ist äußerst irritiert, was die Todesarten betrifft: tiefe Stich- oder Schnittwunden bei Schafen wie Menschen. Oder sind es doch Bisswunden?

Camille und Lawrence jedenfalls kommen in ihren Nachforschungen nicht weiter, auch die örtliche Polizei ist ratlos. Erst als sich Camille an den Pariser Kommissar Adamsberg wendet, mit dem sie einst eine Affäre hatte, kommt Bewegung in die Geschichte. Adamsberg (hervorragend gespielt von Jean-Hugues Anglade, den man u. a. aus Patrice Chéreaus "Die Bartholomäusnacht" kennt) ist bekannt für seine unorthodoxen Ermittlungen, bei denen er mehr auf seine Intuition setzt als auf erkennungsdienstliche Recherche. Schnell nimmt Adamsberg Witterung auf und heftet sich an die Fersen des vermeintlichen Wolfes. Dabei begibt er sich nichtsahnend selbst in tödliche Gefahr. Atmosphärisch dicht und ausstaffiert mit dunklen, ins Furchtgebietende changierenden Bildern des grandiosen französischen Alpenmassivs erzählt der Film seine Kriminalgeschichte. Es ist ein Spiel mit dem Unwahrscheinlichen wie mit dem Unheimlichen, die Balance zwischen beiden sorgsam auslotend. Obwohl bei aller filmischen Güte die Komplexität der wunderbaren literarischen Vorlage nicht erreicht wird.

Nicht umsonst zählt Fred (eigentlich Frédérique) Vargas zu den Großen der europäischen Kriminalliteratur. Ihr inzwischen zehn Kriminalromane umfassendes Werk ist in 30 Sprachen übersetzt, Vargas selbst, eine studierte Archäologin, die öffentliche Auftritte scheut wie der Werwolf den hellen Tag, ist mit zahlreichen nationalen wie internationalen Preisen geehrt worden.

Mit "Bei Einbruch der Nacht" startet das ZDF eine kleine Reihe von Vargas-Verfilmungen: Am 27. September folgt "Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord", am 4. und 11. Oktober steht in zwei Teilen "Der vierzehnte Stein" auf dem Programm, und am 12. Oktober dann "Fliehe weit und schnell". Eins ist den Romanen der Fred Vargas wie auch den Filmen gemein: Immer rühren sie an dem, was tief im kollektiven Gedächtnis verankert ist: der Glaube an etwas eigentlich Irrationales. Es muss ja nicht gleich ein Werwolf sein.