Großartiges Schauspielertheater: Werner Wölbern begeistert als angstgetriebener Titelheld, Katharina Schmidt als Göre.

Hamburg. Gibt es gerade ein Ibsen-Festival? Vielleicht steht er derzeit so häufig auf den Spielplänen, weil die Stücke des 1900 gestorbenen Norwegers Helden zeigen, die vorwärts der unvermeidlichen Katastrophe entgegenstürzen und damit wohl ziemlich genau unseren Zeitgeist treffen. Ihre Helden leben nicht von Taten sondern von Gedanken, Stimmungen. Sie denken übers Denken, sie fühlen sich fühlen.

So auch im "Baumeister Solness", Ibsens Stück über den rücksichtslosen Machtmenschen Solness, das Regisseur Martin Kusej nun zur Eröffnung der Saison am Schauspielhaus herausbrachte. Nur einen Abend, nachdem das Thalia Ibsens Sinnsucher "Peer Gynt", auf die Reise geschickt hatte. Wäre dies ein Wettbewerb, Kusej und das Schauspielhaus hätten ihn gewonnen, denn hier gibt es nicht nur glänzende Schauspieler, sondern auch eine messerscharfe, unnachsichtige, eiskalte Selbstanalyse der in Schuldgefühle verstrickten Personen. Großes Schauspielertheater. Und das darf man am Schauspielhaus durchaus ein Ereignis nennen.

Kusej erzählt die Geschichte vom geschäftlichen Aufstieg des Baumeisters, der erst möglich wurde, nachdem das Haus seiner Frau abgebrannt ist und seine beiden kleinen Zwillingssöhne starben, als verhängnisvollen Kampf eines schuldverstrickten Kraftmenschen, der Angst vor dem Alter hat, niemanden neben sich duldet und rücksichtslos seine Interessen verfolgt. Gleich zu Beginn sieht man ihn über der Bühne schweben. In den folgenden Szenen, die jeweils nur minutenkurz sind und durch Abblenden wie im Film voneinander geschnitten werden, verfolgen wir den Absturz eines Nimmersatten, der vor Angst über sein ungelebtes Leben und seine nicht realisierten Pläne wie ein angebundenes Tier herumtobt.

Werner Wölbern ist Kusej dabei ein großartiger Interpret. Er dampft, kämpft, beißt alles weg, was sich ihm in den Weg stellt, wird weinerlich, größenwahnsinnig, grapscht jeder Frau unter den Rock außer seiner eigenen, demütigt einen Todkranken (Michael Prelle), raubt dessen Sohn Ragnar (Marek Harloff), den er als Konkurrenten ausschalten will, die Arbeit und die Verlobte, verfällt schließlich dem fordernden Charme und den Wahnwitzideen einer jungen Frau, die er schon bedrängte, als sie erst 12 Jahre alt war. Mit diesem Solness erkunden wir den Kampf gegen das Alter, zu dem die Zerstörungslust gehört, ebenso wie das letzte Aufbäumen eines Mannes, der gelernt hat zu siegen. Und der mit dieser Überlegenheit quasi alles für sich beansprucht: Frauen, Projekte, Träume.

Ute Hannig spielt Solness' pflichtbesessene Ehefrau Aline zwischen Verhärmtheit und Verständnis, Julia Nachtmann gibt als Buchhalterin Kaja das willige Blondchen. Überraschend kraftvoll und neben Wölbern gleichermaßen überzeugend, die junge Katharina Schmidt als Hilde Wangel. Herausfordernd, frech, lasziv und berechnend spielt sie die Göre, die den alten Kerl erst um den Verstand, dann um sein Leben bringt. Wenn Wölbern und Schmidt zusammen auf der Bühne agieren, entsteht ein spürbares Kraftfeld. Schmidt wird in der kommenden Saison das Schauspielhaus-Ensemble verstärken.

Martin Zehetgruber hat einen großen Raum gebaut, hell erleuchtet von 35 Neonröhren an der Decke und vollgestapelt mit unfertigen Modellen, über die die Schauspieler klettern, auf die sie steigen, als ewige Herausforderung und ewiges Hindernis. Nach knapp zwei Stunden war die Gefühls-Tour de force zu Ende. Im Schauspielhaus gab's Beifall wie schon lange nicht mehr.