Erstmals widmet das Haus der Photografie in den Deichtorhallen dem Gründer von “Geo“ eine Ausstellung. Sie lädt dazu ein, einen großartigen Fotografen wiederzuentdecken.

Hamburg. Oft sind es Schicksale, die der Fotograf Max Scheler zu einem einzigen Bild verdichtet hat: Der bundesdeutsche Marinesoldat, der nach dem ersten Truppenbesuch eines deutschen Zerstörers nach Kriegsende 1958 im US-Stützpunkt Norfolk seine amerikanische Freundin zum Abschied leidenschaftlich küsst. Oder Jackie Kennedy, die mit ihren Kindern bei der Trauerfeier ihres Mannes die Stufen zum Kapitol in Washington hochsteigt und dem Fotografen für einen kurzen Moment das Gesicht zuwendet. Oder "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein, der 1972 als FDP-Kandidat im Wahlkampf in Paderborn auf einer Holzkiste steht, vor einer Handvoll Menschen Wahlkampf macht und dabei auf geradezu anrührende Weise hilflos und verloren wirkt.

Von diesem Sonnabend an zeigt das Haus der Photographie in den Deichtorhallen eine Schau mit Bildern, von denen man viele nicht so leicht wieder vergessen wird. Unter dem Titel "Von Konrad A. bis Jackie O." sind erstmals in einer Ausstellung Fotografien von Max Scheler (1928-2003) zu sehen.

Es ist noch keine Retrospektive, dafür ist das Werk noch viel zu wenig aufgearbeitet, aber eine faszinierende Ausstellung, die wichtige Stationen und Positionen aufzeigt - mit Bildern, die in Deutschland, China und den USA entstanden sind.

1966 fotografierte Scheler zum Beispiel Offiziere der Nationalen Volksarmee, die in der Dresdner Gemäldegalerie im Zwinger mit Andacht vor einem Napoleonporträt verharren, vor dem sie ehrfürchtig ihre Uniformmützen abgenommen haben. Ein Jahr später nahm er in Peking ein riesiges Mao-Porträt auf, an dem der im Vergleich winzige Maler noch letzte Schönheitskorrekturen vornimmt.

Scheler hat ein Gespür für disparate Elemente und kuriose Konstellationen, vermag aber durch scheinbar zufällige Gesten ungemein einleuchtend das Charakteristische einer gesellschaftlichen oder politischen Situation zum Ausdruck zu bringen. Er interpretiert nicht, sondern dokumentiert, setzt die künstlerischen Mittel des Mediums jedoch so gekonnt und kalkuliert ein, dass seine Haltung sichtbar wird. Als Sohn des gleichnamigen Philosophen in Köln geboren, lernte Max Scheler schon als Jugendlicher den Fotografen Herbert List kennen, der großen Einfluss auf seine künstlerische Entwicklung gewann. Die Art, wie er mit Licht, Gegenlicht und Schatten umgeht, wie er die Ausdrucksform der Schwarz-Weiß-Fotografie auslotet, zeigt, wie viel Scheler von List gelernt hat, den er gleichwohl nie imitiert, als Reportagefotograf sucht er ganz eigene Wege.

1951 ging er nach Paris, wo er Mitglied der Agentur Magnum wurde, später wechselte er nach Rom, reiste in die USA, dokumentierte die deutsche Teilung und das westdeutsche Wirtschaftswunder, die Studentenproteste und die chinesische Kulturrevolution. Max Scheler arbeitete für Illustrierte, war lange Zeit einer der wichtigsten "Stern"-Fotografen.

Er verstand sich als Fotojournalist, schuf Bildessays, die gesellschaftliche Entwicklungen anhand von persönlichen Schicksalen dokumentieren. Doch indem die von Ingo Taubhorn und Peer-Olaf Richter kuratierte Ausstellung auf Serien verzichtet, beweist sie eindrucksvoll, dass Schelers Fotografien auch unabhängig von ihrem journalistischen Kontext als Kunstwerke bestehen können und große Wirkung entfalten. Trotzdem ist es hilfreich, die jeweiligen zeitgeschichtlichen Zusammenhänge zu kennen.

1975 beendete Scheler seine Laufbahn als Fotograf, wurde Bildredakteur beim "Stern", gründete später "Geo" und war bis 1991 stellvertretender Chefredakteur des Reisemagazins "Merian". 2003 starb Max Scheler, dessen fotografisches Werk erst jetzt wiederentdeckt wird. Die wunderbare Ausstellung in den Deichtorhallen zeigt auch, dass man viele seiner Bilder kennt, ohne um die Urheberschaft zu wissen.

"Max Scheler: Von Konrad A. bis Jackie O. - Fotografien aus Deutschland, China, USA", Deichtorhallen, Deichtorplatz, bis 15. November, Di-So 11-18 Uhr geöffnet. Das im Verlag bei Schirmer/Mosel erschienene Begleitbuch kostet 39,80 Euro.