Der Ahrensburger Pianist Axel Zwingenberger spielte in London mit Stones-Drummer Charlie Watts vor ausverkauftem Haus.

London. Langsam, aber hartnäckig quält sich ein Taxi durch den Londoner Feierabendverkehr. Der Fahrer fragt nach hinten: "Was machen Sie beruflich, Sir?" Die Antwort des Gastes: "Ich spiele Klavier." "Die ganze Zeit, Sir?". "Na ja, im Moment fahre ich Taxi." "Hoho, Sie sind sehr clever, Sir!"

Eigentlich kann durchaus gesagt werden, dass Axel Zwingenberger die ganze Zeit Klavier spielt. Angefangen hatte der 1955 in Hamburg geborene Ahrensburger Tastenkünstler mit sechs Jahren, mit 17 entdeckte er den Boogie-Woogie und erspielte sich seitdem bis heute den Ruf, einer der weltbesten Boogie-Woogie-Pianisten zu sein. Starruhm bescherte ihm das nicht. Denn Boogie-Woogie, Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstanden, ist im Mainstream längst vergessen. "Boogie-Woogie ist der ältere, wilde Bruder von Blues und Jazz, eine Keimzelle von Rock 'n' Roll und Pop", erklärt Zwingenberger dem Abendblatt-Autor noch im Taxi und fährt in einer der wenigen Redepausen des Fahrers fort: "In Deutschland wird Boogie-Woogie total verkannt. Seit man versucht hat, Jazz zu akademisieren und zur Hochkultur zu erklären, ist Boogie-Woogie das Schmuddelkind." Ein Schlagloch. "In England allerdings ist das anders. Dort wird Boogie-Woogie als Wurzel des Rock 'n' Roll angesehen." Das Taxi hält vor dem Purcell Room der Royal Festival Hall auf der Themse-Southbank. Hier wird Axel Zwingenberger am Abend mit britischen Musikern ein Boogie-Woogie-Konzert geben.

Und die Bedeutung des Stils für den Rock 'n' Roll wird klar, wenn ein Blick auf den Schlagzeuger des Abends geworfen wird: Charlie Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones und Boogie-Enthusiast.

1986 wurde Zwingenberger eingeladen, für die BBC-Dokumentation "The South Bank Show - The History Of Boogie-Woogie" mit britischen Musikern einige Takes aufzunehmen. "Ich kam ins Studio, die Rhythmusgruppe wurde mir vorgestellt, tja, und da saß eben Charlie Watts am Schlagzeug."

Im Frühjahr 2009 traf man sich nach langer Zeit wieder für ein paar Club-Gigs, Chemie und Spaß stimmten - die Folge war eine viertägige Minitour durch Südengland. Der Auftakt im Purcell Room - ausverkauft. "Klar, die meisten der 400 Gäste werden wegen Charlie kommen", gibt Zwingenberger zu, aber die weiteren Musiker, die backstage ihre Köpfe zusammenstecken, sind auch nicht zu verachten: die populären Pianisten Ben Waters und Jools Holland, Bassist Dave Green sowie die Saxofonisten Willie Garnett und Derek Nash. Vollblutmusiker, die bereits mit diversen Stars von Dave Stewart über Shirley Bassey bis Sting und Norah Jones auf der Bühne standen und ohne Setlist auf Zuruf drauflosspielen, zuerst im Wechsel, später alle zusammen. Zwingenberger betritt nach einer halben Stunde die Bühne und spielt solo die historischen Klassiker "Suitcase Blues" und "Honkey Tonk Train Blues", bevor Watts zu Zwingenbergers frenetisch gefeierten Tastenläufen wieder lässige Beats anrührt.

Zum Finale nach fast zwei Stunden, mit sechs Händen am Klavier (Zwingenberger: "Für die Show") und einem wilden Sax-Duell, erhebt sich das im Schnitt überraschend junge Publikum aus den Ledersitzen und verabschiedet jubelnd die Boogie-Bande. Die Manöverkritik backstage ist entsprechend kurz und bestens gelaunt. "Ich hätte eigentlich noch zwei Stunden weiterspielen können, die Jungs haben es drauf", bilanziert der sonst eher wortkarge Watts, bevor er, zurückhaltend wie immer, ohne Aufsehen verschwindet.

Die anderen Musiker zischen noch in einem Pub ein paar grauenhafte Biere, bis sie nach dem penetrant eingebimmelten "Last Order" herausgefegt werden und sich auf die Hotels verteilen. Mit Watts wäre das vielleicht nicht passiert. "Charlie hat ja noch eine andere Kapelle und wenig Zeit", erklärt Zwingenberger auf der späten Suche nach etwas Essbarem. "Da, der Libanese hat sicher noch offen, is ja Ramadan." Sehr clever, Sir!