Seine Statur erinnert an ein Bergmassiv, doch die Persönlichkeit Helmut Kohls gleicht der eines Eisbergs: Das meiste von ihm - das Gefährliche - befindet sich unter der Wasseroberfläche.

Hamburg. Genau so wird er auch von Thomas Thieme gespielt, in einem TV-Film, der gar nicht erst versucht, den "ganzen" Bundeskanzler in seiner historischen Wucht darzustellen. Der 90-Minüter "Der Mann aus der Pfalz", den das ZDF am 20. Oktober senden wird, beschränkt sich auf die Genesis des Machtmenschen nach dem Krieg und auf den Höhepunkt der Kanzler-Karriere, auf die Zeit der Wiedervereinigung. Auf die Wurzeln des Systems Kohl und auf dessen letzte Blüte, bevor der Stern sank.

Thieme - einer der körperlichsten, unmittelbarsten und druckvollsten deutschen Theaterschauspieler - legt die Gestalt des weltberühmtesten Oggersheimers wie ein Kammerspiel für einen letztlich tragischen Gewinner an. Je weniger Thieme spielt, desto spannender wird diese Gestalt. Hinter diesem Minimalismus steckt eindeutige Absicht bei Thieme, der sich vorgenommen hatte, sich "unzulänglich vorzubereiten". Ihn reizte der Versuch, "herauszubekommen, was im Inneren dieses Mannes passiert" und dafür auf naheliegende Äußerlichkeiten zu verzichten. Also: kein Augenklimpern, kein Pfälzer Dialekt mit "Famillje" oder "Gchichte" und dem nachgedrückten "N" bei jeder unpassenden Gelegenheit. Keine Karikatur, sondern ein modernes Königsdrama, Hofschranzen und Intriganten inklusive.

Für Thieme, der in so berühmten Luk-Perceval-Inszenierungen wie dem Shakespeare-Marathon "Schlachten!", dem "Othello" oder dem Salzburger "Molière"-Projekt zur Text-Dampframme wurde, ist der späte, von der Macht zur Marionette seines Egos verwandelte Kohl eine wunderbare Rolle, um Details der Charakterstudie wirken zu lassen. Die andächtig gekreuzten Hände und vor allem die Augen - "ein ganz extremes Äußerungsorgan" - sprechen Bände.

Den Rest übernehmen die inneren Monologe, die Regisseur Thomas Schadt und Jochen Bitzer als Schlüssel zu Kohls Innenwelt einsetzen. Diese Texte sind Interpretationen der Ergebnisse von rund 30 Stunden Interviews, die Schadt und Bitzer von Januar bis April 2006 mit dem Original-Kohl führten. Auszüge dieser Interview-Aufnahmen hätten eigentlich Bestandteil des Film sein sollen. Der Altkanzler legte sein Veto ein, vor Film-Beginn wird darauf hingewiesen, dass alles Folgende Fiktion sei. Das mag sein. Der Kohl, den Thieme zeigt, lässt erahnen, dass es auch anders gewesen sein könnte.

TV-Termin : 20.10., 20.15 Uhr, ZDF. Theater: Am 13. u. 20.9. zeigt das Thalia Luk Percevals "Othello" mit Thomas Thieme und Julia Jentsch als Gastspiel der Münchner Kammerspiele.