Wie du jetzt bist, Hamburg, mit deiner Sommerseele, will ich die Zeiger aller Uhren abreißen, damit die Zeit uns nichts mehr anhaben kann. Immer sollst du so sein, Immerferienschön.

Alles Leben ist auf die Straßen, in die Parks und Höfe geräumt; die Tische und das Lachen, die Musik und das Brot. Nachbarn, die sich zehn Monate im Jahr nicht mal ansehen auf den selbst gewischten Treppen, stecken sich mit Lachfalten an und tauschen Würstchensenf von Balkon zu Balkon. Die Freunde in den Speckgürteln bekommen endlich Garten-Besuch.

Es gibt kein Drinnen und kein Draußen mehr. Aus "den anderen Leuten" werden Menschen. Sie streifen die Schuhe ab und trinken barfuß rosa Wein, rücken auf Bänken zusammen, um Fremden Platz zu machen, die Fremden sind sich einen Lächeln später schon vertraut. "Es ist ein Kindersommer," sagt eine vor dem Bistro "Tatí", sie spricht vorsichtig wie in einen Traum hinein erwacht. Ihr Begleiter zieht aus einem Winkel seines Herzens den Satz: "Das Leben ist auch ganz unliniert." Sie schaut ihn draußen an wie sonst nur drinnen, die Bellealliancestraße wird zum Montmartre; wieso eigentlich wegfahren, wenn Hamburg feriensüße Liebe spricht?

Es gibt kein Oben und kein Unten mehr. Auf den Bordsteinkanten in der Schanze und dem Grünen Jäger sitzt Eppendorfer Blond neben Steilshooper Grübchen, der Berber neben dem Werber, und aus dem Hackenporsche des bärtigen Vagabunden klirrt Pink Floyds "Money!" Freibadstimmung. Alle sind sich einig, dass man nicht auf Glückskäfer treten sollte, auch wenn sie eine Plage genannt werden. Alle atmen Luft, die warm ist wie ein Teeglas. Wieso eigentlich Geld ausgeben, um mal was zu erleben, wieso nicht nur auf die Straße gehen, um zu leben?

Es gibt kein Sollen und kein Müssen mehr. Es ist die Zeit der Erforschung, wie Menschen sein können, wenn es überall Parkplätze gibt und sie unter blaugoldenem Himmel essen, der Sommer in ihre Herzen kriecht und sie Ferien vom linierten Leben machen.

Immer sollst du so sein, Hamburg, so immerferienschön. Doch es wird letzte Tage dieses Sommers geben, und wir werden danach von einer tröstenden Wärme in dieser Stadt sprechen, aber nicht das Wetter meinen.

Dockville-Festival 14.-16.8. 70 Bands, vier Bühnen, 20 Installationen. Wilhelmsburg (S Wilhelmsburg + Shuttle), Am Reiherstieg/Alte Schleuse, Tageskarte 30,- (10,- für Anwohner Wilhelmsburg, Veddel), 3-Tages-Karte 62,-. www.dockville.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.