Die Filmemacher Hans-Georg Ullrich und Detlef Gumm haben seit 1986 ihre Berliner Nachbarschaft beobachtet.

"Schön ist die Jugend bei frohen Zeiten ...", singt die resolute Berliner Hauswartsfrau Berta Tomaschefski und steigt mit 89 Jahren zum Fensterputzen auf die höchste Stufe der Leiter. Erol Yilmaz, voll integrierter Türke der zweiten Generation, weiß zwar nicht, wann genau er geboren wurde in seiner kurdischen Heimat, hat es aber als Chef einer Gebäude-Reinigungsfirma weit gebracht im Berliner Kiez rund um den Bundesplatz. Anders Marina Storbeck, die mit ihren drei Kindern von drei Vätern irgendwann am Ende ihrer Kräfte ist und meistens von Sozialhilfe lebt. Was sich dann in der nächsten Generation fortsetzt. Zwar kriegen auch die Köpcke-Töchter zu früh und nicht geplant ihre Kinder, aber die Mitglieder der "heilen" Künstler-Familie, wie Vater Niels sie beschreibt, hindert das nicht am Zusammenhalt und der Verwirklichung ihrer kreativen Lebensträume. Reimar Lenz, Schriftsteller und politisch engagierter Journalist, aber "Schreiberling" genannt von der Bäckersfrau nebenan, und der Ex-Polizist und "malende Masseur" Hans Ingebrand können sich endlich "nach 33 Jahren Wartestand" als schwules Paar das ersehnte Jawort geben.

Und wir, die Zuschauer, sind immer dabei. 22 Jahre nun schon, denn seit 1986 produziert die Känguruh-Film aus Berlin-Wilmersdorf diese außergewöhnliche, mehrfach preisgekrönte und in Abschnitten immer wieder ergänzte und gesendete Langzeitdokumentation über "Berlin - Ecke Bundesplatz".

Was aber macht neben all den täglichen Talk- und Streit- und Outing-Sendungen über menschliche Befindlichkeiten gerade diese Reihe so besonders?

Es ist das eigentlich ganz Alltägliche, das Authentische und eher Unspektakuläre, diese Wahrnehmung wirklichen Lebens in seinem Kreislauf von Geburt und Sterben, Lieben und Arbeiten, Schaffen und Scheitern, Wünschen und Bekommen oder Verzichten, das den Zuschauer in jeder der 90-Minuten-Folgen in einen ganz persönlichen Bann zieht, weil er sich selbst wieder erkennt, sich identifiziert oder abgrenzt , sich erinnert oder vergleicht, kurz: zu allen porträtierten und über die vielen Jahre ihn begleitenden Personen eine Beziehung aufbaut, über sie und sich selbst nachdenkt, Verhaltensweisen und Werte prüft, akzeptiert oder verwirft und so seine eigene Position im gesellschaftlichen Wandel der Jahre sich verändern oder festigen sieht.

Diese Chance wird ihm auch deshalb zuteil, weil die Filmemacher Hans-Georg Ullrich und Detlef Gumm bei ihren Fragen und Reaktionen im Kontakt mit den Menschen aus dem Kiez zwar konkret und mutig, ja, manchmal schonungslos offen, aber ohne Wertung vorgehen und so den Zuschauer geradezu zwingen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Dabei durchzieht trotz bisweilen dramatischer Verläufe und bedenklicher Entscheidungen ein optimistischer Ton die Lebensdarstellungen, unsentimental und ermutigend in Zeiten, in denen soziale Krisen auch vor den Türen der Tüchtigen nicht haltmachen.

Viel könnte man erzählen über diese Menschen vom Kiez (es gibt inzwischen auch ein Buch mit dem Filmtitel "Berlin - Ecke Bundesplatz). Aber noch spannender ist es, in den Filmen zu sehen, wie sich eine Stadt verändert, wie Menschen falsche Wege gehen oder sich entwickeln.

Es bleibt eine unerklärliche Entscheidung aller drei beteiligten Sender, warum diese so aktuellen wie unterhaltsamen Geschichten, menschlich anrührend und soziologisch aufschlussreich, wieder in die späten Abendstunden verbannt werden. Schließlich dokumentieren sie den Übergang der beiden Jahrhunderte. Schon allein deshalb sollten die Redaktionen WDR, rbb und 3sat bitte schon mal das Geld für die Fortsetzung einplanen!

Weitere Folgen: 13./18. und 20. August

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