Das Sortiment ist sorgfältig jenseits des Mainstreams ausgesucht. Und der Buchhändler steckt voller Leidenschaft.

Hamburg. Das Licht ist nicht hell, aber zuverlässig. Nacht für Nacht beleuchtet es das Schaufenster des Bücherpavillons an der Rothenbaumchaussee auf Höhe des Clubs an der Alster. "Wie ein Ufo", sagt ein Kollege, dem beim Vorbeifahren aufgefallen war, was alltäglich nicht mehr bemerkt wird, weil es wie selbstverständlich immer da zu sein scheint. Wahr an der Ufo-Assoziation ist, dass die Bücherstube Stolterfoht wie aus einer anderen Welt ist. Mit Science-Fiction hat das jedoch nichts zu tun, eher mit vergessenen Lesegewohnheiten.

Vom letzten Harry-Potter-Band hat Frank Bartling nur sechs Stück verkauft, von Stephenie Meyers Abschluss der "Biss"-Tetralogie noch weniger, "Glück kommt selten allein" und "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein" habe er noch nie gehört, behauptet der bärtige Buchhändler. Bestseller und Mainstream sind nicht seins.

1997 hat Bartling die Bücherstube übernommen. Was eine Art Ritterschlag war. Denn seine Vorgängerinnen Margrit Stolterfoht und Lisi Drascher hatten eine dezidierte Haltung zum Sortiment ihrer Buchhandlung, die sie 1972 von Margrits Mutter Greta (genannt "Stoltergretchen") erbten und die sie als "literarisches Knusperhäuschen" bezeichneten.

Frank Bartling hatte 1997 gerade sein Studium (Literaturwissenschaft und Soziologie) abgeschlossen und wollte mit dem damaligen Rowohlt-Angestellten Oliver Berns eine Buchhandlung eröffnen, die beider Ideen von Vermittlung guter und wichtiger Literatur entsprach. Die Bücherstube war dafür maßgeschneidert. Bei Tage besehen wirkt die Bücherstube am U-Bahnhof Hallerstraße eher dornröschenhaft grün eingebettet. Der hölzerne Bücherpavillon ist ein Kleinod. 1948 vom Architekten Werner Kallmorgen für seine Freundin Greta Stolterfoht entworfen, hat er sich in seiner großstädtischen Nische behauptet. Nur 44 Quadratmeter Nutzfläche bietet das Häuschen, doch die Vielfalt an Titeln entspricht dem Angebot einer dreimal so großen Buchhandlung, schätzt Bartling. Bei Stolterfoht ist - aus Platzgründen und Überzeugung - fast jedes Buch ein Einzelstück; als "Stapelware" gilt bereits, was fünfmal vorrätig ist.

Bartling zählt auf anspruchsvolle Stammkunden. "Wenn uns leidenschaftliche Leser entdeckt haben, kommen sie immer wieder. Auch von weiter her. Die kaufen dick ein, und man sieht sie eine Weile nicht wieder."

Doch das eigentliche Plus ist die ganz andere Gewichtung von Neuerscheinungen - und ein Buchhändler, der manchmal besser weiß, was Kunden wollen, als die selbst. "Ich ahne oft, was gut passt, weil ich mich an individuelle Vorlieben erinnere", erzählt Bartling, der über die meisten Titel in seinem Sortiment profund urteilen kann. Ungefähr 140 Bücher liest er jedes Jahr.

Zu seinem Selbstverständnis als Buchhändler gehört es, das durchzusetzen, was er als gut erkannt hat. Die Aufzählung seiner Erfolge führt zu einer eigentümlichen Bestsellerliste: Meistverkaufter zeitgenössischer Roman ist mit 130 Exemplaren "Der lange Marsch" des Spaniers Rafael Chirbes, eine Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Andere Bücher, die sehr gut liefen, waren Dezsö Kostolanyis "Held seiner Zeit", Maarten 't Harts "Das Wüten der ganzen Welt", Ferdinand Bordewijks "Charakter", John O'Haras "Begegnung in Samarra". Mehr als 100 Bücher jeweils mögen nicht imposant klingen, doch für eine kleine Buchhandlung, wo jedes verkaufte Buch quasi als Individuum registriert wird, ist das gewaltig. Auch im Vergleich mit der Mega-Konkurrenz können sich diese Zahlen sehen lassen: Bartling erzählt, dass er von Norbert Zähringers Wiedervereinigungs-Persiflage "So" 85 Stück verkauft hat - Hugendubel hingegen, so hörte er, habe 100 bestellt und 90 zurückgehen lassen. "Wichtigen Büchern die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen ist das Highlight in diesem Beruf, dafür arbeitet man", sagt Bartling, dessen Lieblingsautoren Kafka, Nabokov, Koeppen und Denis Johnson sind.

Er weiß, dass er von den Programmen der Verlage abhängig ist, doch sie befreien nicht von der Trüffelsuche in entlegeneren literarischen Regionen. Bartling merkt rasch, wenn es dürre literarische Jahre sind oder wenn Verlage schwächeln. "Jungverlegern fehlt leider meist der lange Atem. Was bei einem Fußballbundesliga-Aufsteiger das verflixte zweite Jahr ist, das ist für Verlage das vierte, wenn der Anfangselan verloren ist." Sorgen macht dem Buchhändler auch, dass, so sagt er, das junge Publikum nachlässt: "Die Kenntnisse sind dürftiger, junge Leute können weniger mit dem anfangen, was hier steht." Die aktuelle Wirtschaftskrise hat Bartling deutlich gespürt. Ein Alarmsignal ist für ihn das verstärkte Interesse an Biografien: "In Krisenzeiten halten sich die Menschen gern an große Vorbilder." Doch er bleibt tapfer, auch wenn das Geschäft "selbstausbeuterische Züge" hat und die Konstruktion des Pavillons Schwachstellen: Zwei Wände sind dem Regen besonders ausgesetzt, die nächste Reparatur steht an. Der altmodischen Behaglichkeit im Inneren schadet das nicht. Besucher können sich fühlen wie in der Bibliothek eines Freundes, wo gestöbert werden darf. Und Bartling wird weiter an seinem "Ufo" arbeiten, das eigentlich eine Arche ist, und darin mindestens ein Buch von jeder erhaltenswerten Art aufnehmen. Solange er dafür noch genug Kunden findet, wird das dezente Licht der Aufklärung jede Nacht an der Rothenbaumchaussee leuchten.

Bücherstube Stolterfoht, Rothenbaumchaussee 100 (U Hallerstraße), Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-13 Uhr; T. 410 15 80