Eine junge Frau in einer Telefonzelle. Es regnet in Strömen, an ihren Bauch presst sie ein Kind, es ist das jüngste, ihr fünftes, es weint. Die Frau brüllt in den Hörer, bevor sie ihn genervt auf die Gabel knallt, zweimal, dreimal.

Mit dieser Szene beginnt "Madonnen", der zweite Spielfilm von Maria Speth - und es ist nur konsequent, dass dieser erste Handlungsort eine anonyme Telefonzelle ist, ein Niemandsland, nimmt er doch das große Thema des Films vorweg: Rita, die junge Frau, gespielt von Sandra Hüller, fühlt sich nirgendwo zugehörig, sie ist ihr Leben lang auf der Flucht, auch und besonders vor ihren Aufgaben als Mutter. Sandra Hüller spielt in "Madonnen" ihre zweite große Kinohauptrolle, nach ihrem grandiosen, mit dem Silbernen Bären ausgezeichneten Filmdebüt in "Requiem" (Regie: Hans-Christian Schmid) als epilepsiekranken Studentin. Es war eine weitere anstrengende Arbeit für die junge Schauspielerin. Und kurioserweise fanden die Castings für beide Filme am selben Tag statt, sie zog sich im Taxi für die neue Rolle um. Hüller hat die Zusage für beide Produktionen bekommen, sie ist tief eingetaucht in die seltsamen Frauenfiguren und hat mit ihrer Darstellung wohl jeden Zuschauer überzeugt. Anschließend hat sie ein ganzes Jahr ausgesetzt mit dem Beruf, "um wieder zu spüren, wie sich das normale Leben anfühlt".

"Madonnen" ist die Studie einer Entfremdung. Einer Überforderung. Rita streift ihr Muttersein immer wieder ab wie ein lästiges Kleidungsstück; sie will ausgehen und Spaß haben, sich frei fühlen. Während ihre Kinder allein am Abendbrottisch sitzen, steht sie in der Disco und lässt sich von amerikanischen GIs Gin Tonic ausgeben. Und sie fühlt sich nicht schuldig dabei, im Gegenteil: Der trotzige Zug um ihren Mund wird den gesamten Film über nicht verschwinden. "Madonnen" hält sich nicht mit Erklärungen auf, er psychologisiert nicht, will nicht begreifbar machen, warum Rita handelt, wie sie handelt - so befremdlich, so abstoßend das oft ist.

Als "fremd und sperrig, anarchisch und unverständlich", hat Hüller sie empfunden. Rita ist, anders, als der Titel es nahelegt, eine Anti-Madonna. Eine unberechenbare Frau, die es nicht nur ihrer Familie, sondern auch dem Zuschauer schwer macht, Verständnis für ihr Handeln aufzubringen.

Am Ende steht Ratlosigkeit. Und das Gefühl, einen aufwühlenden, schmerzhaften Film gesehen zu haben.