Ganz neu ist die Idee nicht: Schubertlieder ihres betörenden Wohlklangs entkleidet, um das Erschütternde darunter freizulegen. Jüngst tat das noch die Gruppe Franui mit Heurigenswing.

Hamburg. Aber zu erleben, wie die Schauspielerin Barbara Sukowa sich diese Musik einverleibt und dem Publikum entgegenschleudert, -faucht und -gurrt, das war den Besuch beim SHMF-Konzert auf Kampnagel allemal wert. "Im wunderschönen Monat Mai" hieß der Abend, begleitet von dem holländischen Pianisten, Dirigenten, Komponisten und bekennenden Neutöner Reinbert de Leeuw und seinem Doppelensemble Asko/Schönberg.

De Leeuw war es auch, der sich dafür Schuberts "Winterreise" und Schumanns "Dichterliebe" vorgenommen hat, diese Parade-Liedzyklen der Romantik. Er hat sie auf ihre dramatischsten Momente eingedampft, großzügig mit anderen Liedern oder Werkzitaten der beiden versetzt und die Gesangsstimme über weite Strecken umgedeutet in freie Rezitation oder Sprechgesang. Das vertrug die Musik erstaunlich gut. Sukowa konnte natürlich alle Register ziehen: Als Fausts Gretchen steigerte sie sich orgiastisch ins "Küssen", sie hauchte wie Marlene Dietrich oder hüpfte halb irr als liebeskranker Clown über die Bühne. Kurzweilig war das in jedem Fall. Als der Knabe das Heideröschen brach, wollte einem das Herz stehen bleiben ob Sukowas Schrei. Ihr ausdauerndes Entsetzen dagegen schrammte mitunter am Stereotypen entlang.

De Leeuws Meisterschaft zeigt sich auch in der Instrumentierung. Kein Lied, dem die brodelnde Bassklarinette oder Streicher-Flageoletts nicht ein völlig neues Gesicht verschafft hätten. Und die Musiker, als Avantgarde-Interpreten mit allen Wassern extremer Tongebung gewaschen, zauberten verstörende Klänge. Nur wenn Sukowa sang, musste der Hörer die CD im Kopf mit Nachdruck abwürgen. Man kann aber auch nicht alles können.