Vor acht Jahren hat die kubanische Choreografin Lizt Alfonso mit Fidel Castro ihren mächtigsten Fan gewonnen, heute ist sie eine kulturelle Botschafterin ihres Landes.

Als der Maximo Líder anrief, stand Lizt Alfonso unter der Dusche. "Lizt", hat ihr Mann etwas zögerlich gesagt und ihr den Hörer ins Bad gereicht, "es ist Fidel." Fidel. Castro etwa? Lizt Alfonso lacht laut auf über die Frage nach einem möglichen Zweifel. "Ay! Das erkennt jeder Kubaner! Diese Stimme kennen wir!" "Was brauchen Sie?", fragte die wohlbekannte Stimme umstandslos, "Was brauchen Sie, um zu arbeiten und zu wachsen?"

So gehen Erfolgsmärchen in Havanna. Die karibische Sonne verklärt den unaufhörlichen Verfall der Stadt zur malerischen Kulisse, die Rolle des Deus ex Machina wird, was sonst, vom dienstältesten Revolutionär höchstpersönlich gegeben. Am Vorabend hatte Castro, damals noch Regierungschef und nicht allein auf Krankenhaus-Fotos präsent, Alfonsos Compagnie auf einer Gala tanzen sehen. Und sich entschieden, Fan zu werden. Ein engagierter Fan.

Heute, acht Jahre nach dem entscheidenden Telefonat, trinkt Lizt Alfonso ihren kräftigen, süßen Kaffee im Konferenzraum ihres eigenen Tanzzentrums. Aus dem damals zaghaft vorgebrachten Wunsch nach einem eigenen Proberaum - das Ensemble hatte unter äußerst provisorischen Bedingungen in einem spanisch-kubanischen Kulturzentrum probiert - ist in Habana Vieja mittlerweile eine ganze Akademie entstanden. Mit neuen Fensterscheiben in einer ehemaligen Druckerei, einem Fitnessraum und Tanzsälen auf mehreren Etagen. Mit Vormittagsproben für das professionelle Ensemble, Nachmittagsunterricht für 1100 Schüler und Blick auf das benachbarte Convento de la Belén. "Nur einen Proberaum?", hatte Fidel pragmatisch zurückgefragt; "Denk nicht für die Gegenwart. Denk für die Zukunft!"

In dieser Zukunft sieht man der Tänzerin und Choreografin Lizt Alfonso den Einfluss ihres mächtigsten Fans durchaus an. Sie trägt eine Ray-Ban-Sonnenbrille, eine pinkfarbene Bluse zum blütenbestickten Rock, passende High Heels und eine ebenso leuchtende Blume im dunklen, nach Ballerinenmanier streng zurückgefassten Haar. Eine auffallend schöne, auffallend geschmackvoll gekleidete Frau. Bei einem Spaziergang durch Havannas Altstadt wird sie bisweilen für eine Touristin gehalten; mit dem üblichen, Aufmerksamkeit heischenden "Kss!" bieten ihr die Straßenverkäufer schlecht gerollte Zigarren und ihre schwarz gebrannten "Buena Vista"-CDs an. Ihr ist das peinlich. "Soy cubano!", verscheucht sie die Händler mit verlegener Handbewegung. "Ich bin Kubanerin!"

Allerdings. Lizt Alfonso, die schon als junges Mädchen mit dem Tanzen angefangen und sich in Havanna schließlich mit dem "Lizt Alfonso Dance Cuba"-Ensemble eine der ersten Privatcompagnien aufgebaut hat, ist längst eine kulturelle Botschafterin ihres Landes geworden. Ihr Ensemble tourt - bejubelt von "New York Times", "Washington Post" und "Seattle Times" - durch die Vereinigten Staaten, tanzt in Spanien, Frankreich und den Niederlanden, trat schon in Venezuela, Kolumbien, Kanada, Ägypten und Neuseeland auf und kommt, als Sommerbespielung des Hamburger Schauspielhauses und auf Einladung des kubabegeisterten Schmidt-Theater-Chefs Corny Littmann, im Juli erstmals auch nach Deutschland. "Es ist künstlerisch extrem aufregend, was diese Gruppe macht, weil es in keine Schublade passt", findet Littmann, der zwar seit Jahren privat nach Havanna fährt, sich nun aber das erste Mal an einen kubanischen Kulturimport wagt.

"Man hat uns gesagt, in Hamburg könnte es kalt werden, aber schlimmer als hier wird es wohl kaum", schnieft Lizt Alfonso am Abend hinter der Bühne des Karl-Marx-Theaters und zückt schicksalsergeben ihre Taschentücher. Sie ist erkältet. Die Klimaanlage des Theaters ist seit Tagen bis zum Anschlag aufgedreht, und niemand kann eine Fernbedienung finden. Dem Publikum scheint das nicht viel auszumachen, und auch Lizt Alfonso fügt sich dem Umstand: Zum einen herrscht draußen eine tropisch feuchte Hitze, zum anderen gehört es zum kubanischen Alltag, dass praktisch immer irgendetwas gerade nicht zu bekommen ist.

Das klobige 5000-Plätze-Theater in Havannas pittoresk marodem Villenviertel Miramar, in dem auch Fidel Castro die Compagnie zum ersten Mal gesehen hatte, ist für alle fünf Vorstellungen ausverkauft. 25 000 Zuschauer an fünf Abenden, kein anderes Tanzensemble füllt diesen Saal, in dem sonst lateinamerikanische Popstars singen oder die politische Führung ihre Reden hält. Auf der Avenida vor dem sozialistischen Bau, auf dem in riesiger Schreibschrift ein Autogramm von Karl Marx prangt, spucken immer neue Ladas immer neue Zuschauergrüppchen aus, Paare, Junge und Ältere, ganze Familien. Im Foyer werden Lizt-Alfonso-Poster und große Tüten mit knusprigen Käsebällchen verkauft, dazu die unvermeidliche - und gar nicht üble - kubanische "TuKola". Die rot-weiße Konkurrenz des amerikanischen Klassenfeinds gibt es zu überteuerten Preisen nur in Touristen-Cafés und in den All-inclusive-Gettos an der Küste. Als Import aus Mexiko.

Im Teatro Carlos Marx hingegen wird heute Abend Kuba gefeiert: "Vida", Leben, heißt die Show schlicht, aus der die Compagnie Ausschnitte zeigt, Episoden kubanischer Geschichte von 1930 bis zur Gegenwart. Die Tänzerinnen - bei Lizt Alfonso tanzen fast ausschließlich Frauen - betonen unverkennbar das nationale Element. Sie zeigen stolze, stampfende Flamenco-Elemente, kombinieren mit klassischem Ballett, wie es die berühmte Alicia Alonso in Havannas Gran Teatro mit dem Nationalballett perfektionierte, ergänzen das mit flirrendem modernen Tanz und süffigen afrokubanischen Rhythmen. Lizt Alfonsos lebhafte, präzise und sinnliche Choreografien sind wie ein Querschnitt durch all die Einflüsse, die Kuba zu dem gemacht haben, was es heute ist. Minus all jenes, versteht sich, was der Kuba-Tourist in der Regel nicht sehen und der Kubaner im Theater gerne vergessen möchte.

Die in sozialistisches Rot und revolutionäres Dschungelgrün (und über weite Strecken auch in recht wenig) gewandeten Tänzerinnen sind deutlich kurviger als beim klassischen Ballett, mal gehören Revolutionskappen zum Kostüm, mal eine riesige rote Flagge zur Requisite. Es ist nicht schwer zu erraten, weshalb Fidel Castro sich für die Compagnie begeistern konnte. "Ja, er mag Frauen", erklärt Lizt Alfonso und lacht. "20 Frauen in roten Kleidern! Und unsere Frauen sind wunderschön!"

Dass sie selbst zu jenen Künstlern ihres Landes zählt, die es geschafft haben, die reisen dürfen, die Zugang zu Devisen haben, versteht sie trotz der Protektion weniger als Privileg denn als verdientes Recht - nicht allein für sich, sondern für die gesamte Compagnie: "Wir haben hart dafür gearbeitet." Mehr noch als der Sport, wie in anderen Dritte-Welt-Ländern, ist es auf Kuba die Musik, die den Talentierten einen Weg in ein besseres Leben weist - und zwar ohne, dass sie ihr Land verlassen müssen.

Zwar umgeht Lizt Alfonso die Frage, ob sie je an eine endgültige Ausreise gedacht habe: "Künstler leben an einem Ort, aber sie gehören der Welt." Erlebt man sie jedoch gelöst in ihrer vollkommen unprätentiösen Nachbarschaft im Barrio Chino, dem Chinesenviertel von Centro Habana, oder beim Autogrammschreiben an ihrer früheren Ballettschule, wird deutlich, wie sehr sie hier verwurzelt ist. Es ist kaum verwunderlich, dass Lizt Alfonso vor allem zweierlei vermisst, wenn sie auf Auslandstournee ist: den Malecón, jene acht Kilometer lange Küstenstraße Havannas, an der die Meeresgischt an die salzzerfressene Mauer brandet und an der sich vor allem am Abend das Leben in all seinen Leidenschaften, Abgründen und Sehnsüchten zeigt. Und die Menschen. "Sie sind hier offener als anderswo", findet sie. "Direkter."

Mit einer Ausnahme: der Politik. Nur sehr ausweichend beantwortet Lizt Alfonso, welche Veränderungen sie nach dem Machtwechsel von Fidel Castro zu seinem jüngeren Bruder Raoul beobachtet hat und was sie nach dem Tod des 82-jährigen Maximo Líders erwartet. "Ich erwarte immer Veränderungen, denn so ist das Leben." Direktere Aussagen bekommt man von ihr nicht. Sie ergreift lieber die Möglichkeiten, wenn sie sich bieten. "Wissen Sie", sagt Lizt Alfonso und streicht mit entschlossener Geste über den blumenbestickten Rock, "am Ende machen wir doch einfach unsere Arbeit." Eigentlich ist es wie damals, als Fidel anrief. Sie nahm die Hilfe dankbar an - und führte unter verbesserten Bedingungen fort, was sie ohnehin längst begonnen hatte. Pragmatismus ist eine sehr kubanische Eigenschaft.

  • Lizt Alfonso Dance Cuba 18.7. bis 9.8. im Schauspielhaus. Karten (12,85 bis 54,68 Euro) in allen Abendblatt-Ticketshops und bei der Abendblatt-Ticket-Hotline 30 30 98 98.