54 Bildschirme auf 400 Quadratmetern: Seit Anfang der Woche wird das Hamburger Abendblatt im modernsten Newsroom Europas gemacht. Das Zauberwort heißt Multimedia: die kreative Verbindung von Text, Foto, Video und Ton. Qualitätsjournalismus im Zeitalter von Abendblatt 3.0.

Hans Raczinski war erst kurz im Job, als das Abendblatt seine erste Revolution startete. Aus Sorge, die Zeitung könne von schnelleren Medien, etwa dem Fernsehen, überholt werden, erschien es ab 1971 nicht mehr nachmittags, sondern bereits frühmorgens. Der nächste Umbruch folgte im Jahr 1983: Hans Raczinski, eigentlich ausgebildet, um Artikel in Blei zu setzen, saß künftig am Computer.

Noch immer arbeitet Hans Raczinski hier. Seit dieser Woche gestaltet er im modernsten Newsroom Europas die Seiten von Hamburgs Zeitung. Gedruckt erscheint sie noch immer frühmorgens, zugleich aber auch rund um die Uhr im Internet. Hier, im siebten Stock des Axel-Springer-Hauses, blickt Raczinski auf den Turm der Nikolaikirche und sagt gelassen: "Die Arbeit wird leichter, denn die großen Veränderungen habe ich schon hinter mir."

Journalistikprofessor Siegfried Weischenberg bezeichnet den Newsroom als logische Entwicklung. "Früher fand die Herstellung der Zeitung weitgehend außerhalb der Redaktion statt, etwa in Setzereien. Die Revolution war, dass Redakteure selbst am Bildschirm die Seiten bestückten." Dies habe sich bis heute nicht grundsätzlich geändert. Weil aber mittlerweile mehrere Medien, Internet oder Zeitung, beliefert werden, sei eine andere Organisation erforderlich. "Der intensivere Austausch zwischen Redakteuren, das ist Sinn des Newsrooms."

Newsroom heißt auch Neuigkeitenzimmer. Das beschreibt die Idee am besten. Keine Nachricht, ob über Agentur, Fernsehen oder von einem atemlosen Reporter zum Chef getragen, soll den Abendblatt-Redakteuren entgehen, die an der Zeitung von morgen oder dem Online-Artikel von heute sitzen. An 54 Bildschirmen auf 400 Quadratmetern arbeiten Chefredakteur, alle Ressortleiter, Blattmacher und Online-Redakteure gemeinsam. In einem Fernsehstudio schneiden Video-Redakteure ihre Beiträge. Crossmedia, die kreative Verbindung von Text, Bild und Ton, ist die Chance aller Medien, Zuhörer und Leser noch mehr zu interessieren und hoffentlich zu begeistern. Einzigartig in Europa sind beim Abendblatt zwölf hochauflösende Bildschirme, die auf Knopfdruck einen Fernsehsender oder Bildschirminhalte projizieren. So kann die Redaktion zeitgleich ein wichtiges Fußballspiel verfolgen und Nachrichten schauen, während Grüppchen jeweils vor einem Monitor über Fotos und Layout brüten.

"Früher waren die Ressorts wie kleine Fürstentümer über das Haus verteilt. Für Rücksprachen musste ich durch endlose Gänge laufen oder zum Telefon greifen", sagt Layouter Raczinski. Das Herzstück des Newsrooms sind nicht Bildschirme, deren Technik vergänglich ist, sondern der Austausch zwischen Mitarbeitern. Sie rücken näher zusammen, weil klar wurde: E-Mail und Telefon ersetzen nicht, was offene Gruppengespräche bieten. Wird eine Nachricht oder gar Sensation bekannt, frönen Journalisten aller Gebiete, ob aus Politik, Kultur oder Sport, ihrer Leidenschaft: schlaue Dinge sagen. Was ist der Schwerpunkt des Artikels? Wird er heute online veröffentlicht oder morgen exklusiv in der Zeitung?

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung war übrigens schon am 20. Juli 1969 Thema: Damals betrat der erste Mensch den Mond. Das Abendblatt brachte eine Extraausgabe am frühen Morgen. Doch der Newsroom ist keine Reise zu einem anderen Planeten, sondern bleibt eine tägliche Expedition in die Realität. Reporter und Autoren sitzen nicht im Newsroom, sondern in benachbarten Ressortbüros. Wie immer schon erkunden sie die Stadt, telefonieren, kritzeln Notizen in Blöcke, verhandeln um jeden Zentimeter Platz für ihren Artikel. Naht der Redeaktionsschluss oder mahnt der Online-Chef, holen sie hektisch Kaffee, manchmal sagen sie bei Fragen gereizt: "Jetzt nicht!" Übrigens: Auch im Newsroom sitzen Mitarbeiter mal nicht am Platz.

Wie bei allen Innovationen sieht Professor Weischenberg auch Gefahren: "Einzelne Ressorts müssen eine Identität behalten." Zudem setzte die straffere Organisation Ressourcen frei. "Die müssen für Recherche eingesetzt werden, um tolle Inhalte zu schaffen." Nur dann habe die Zeitung noch eine lange Zukunft.