Dokumentation: Der Hamburger Feuersturm 1943. 23.00 Uhr, NDR

Es gibt Wunden, die man nicht sieht. Wunden, die nie heilen und immer schmerzen. Sie werden vererbt - verzweifelt, verschwiegen und ängstlich. Eine erwachsene Frau kann die an sich harmlosen Worte "Deutsche Bucht" nicht hören, ohne eine Gänsehaut zu bekommen und wieder den Tränen und Ängsten ihrer Kindheit nah zu sein. Denn von dort kamen die Bomber, die im Sommer 1943 unfassbar weite Teile von Hamburg in Schutt und Asche legten. Da war sie acht Jahre jung.

Ein Mann im besten Alter bekommt gerade mal drei Erinnerungen aus seiner Kindheit zusammen, in denen er sich seinem Vater nah fühlte. An eine davon hatte ihn erst seine Schwester erinnern müssen, sie war tief in ihm verdrängt. Verschüttet. Sein Vater hat die "Operation Gomorrha" überlebt. Aber hatte er deswegen ein lebenswertes Leben? "Erzählen ist erinnern", sagt jemand. Beides tut in der Seele weh.

Ein anderer Vater, so sein Sohn, holte sich nach dem überlebten Feuersturm bei der zuständigen Stelle ein neues Gewehr ab und stieg, Dienst war Dienst, in den Soldatenzug nach Russland. "Von wegen Heldentod", hat er später davon erzählt, "das ist verrecken. Da hängen die Eingeweide im Baum. Punkt."

Viele jener Menschen, die vor der Kamera des Dokumentarfilmers Andreas Fischer über sich und ihre Eltern aus der "Gomorrha"-Generation Auskunft geben, haben keine Kinder. Sie wollten keine. "Ich hab mich nicht verankert", sagt einer von ihnen. Kein Haus gebaut, kein Auto gekauft, kein Kind gezeugt. Die ganz große Lebensbejahung haben viele von ihnen nie gespürt. Wo auch, wie auch. Der Vater war abends müde von der existenzsichernden Arbeit oder bei seinen Tauben im Garten, die Mutter war hart, es musste gegessen werden, was auf den Tisch kommt. Bloß nichts umkommen lassen.

Es sind doch schon genug gestorben, damals. Die Kinder sollten es einmal besser haben.

Die Schätzungen für die Tage und Nächte, in denen Hamburg sich im Sommer 1943 in die Hölle auf Erden verwandelte, belaufen sich auf schätzungsweise 35 000 Tote. Die Folgeschäden in den Nachkriegsjahrzehnten lassen sich nur erahnen.

Weil er nicht nur an die "Operation Gomorrha" erinnern lässt, sondern auch dokumentiert, was das Bombardement in und mit der nächsten Generation angerichtet hat, ist der NDR-Zweiteiler von Andreas Fischer so sehenswert. "Brandwunden" und "Brandnarben" hat der Dokumentarfilmer die beiden Abschnitte genannt. Hin und wieder unterbricht Fischer den Redefluss, um historisches Filmmaterial zu zeigen, das der Hamburger Feuerwehrmann Hans Brunswig während des "Feuersturms" mit einer Amateurkamera gedreht hat. Ansonsten ist Fischer dezent, leise und diskret. Neugierig ist er nicht. Er lässt die Erinnerungen kommen. Es gibt keine Musik, es gibt nur ihn hinter der Kamera und die Person davor. Das genügt, damit lässt sich wie in einem Beichtgespräch alles erzählen. Aber vieles nicht erklären, auch heute, rund 66 Jahre später, nicht.