Standing Ovations gab es für Christoph von Dohnányi und das NDR Sinfonieorchester beim Voreröffnungskonzert des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals am Sonnabend.

Lübeck. Fast geschlossen erhob sich das Publikum in der Lübecker Musik und Kongresshalle von seinen Plätzen, als die letzten Takte von Beethovens Neunter verklungen waren. Ein furioses Finale für ein Konzert, das Licht- und Schattenseiten hatte.

Passend zum Deutschland-Schwerpunkt des SHMF hatte Dohnányi ein Programm mit zwei nationalen Schwergewichten zusammengestellt: Wagner und Beethoven. Die Wesendonck-Lieder und die Neunte. Von der individuellen, erotischen Liebe zum weltumspannenden Bruderkuss sollte der Weg führen. Oder, weniger pathetisch gesagt, von stiller Intimität zu auftrumpfender Monumentalität.

Die Wesendonck-Lieder in der Fassung für großes Orchester mit Yvonne Naef als Solistin gelangen denn auch als nuancierte Pianissimo-Studie: ein fein tariertes Gleichgewicht subtiler Schattierungen, das schon durch den etwas zu harten Ansatz eines Horns ins Wanken geraten konnte.

In die so gespitzten Ohren hätte der erste Satz von Beethovens Neunter dann wohl mit elementarer Wucht hineinfahren sollen. Tat er aber nicht. Dohnányis Tempo war vom staatstragenden Festakt-Duktus ebenso weit entfernt wie von David Zinmans Geschwindigkeitsrekorden. Auch der Originalklangwahn ficht Dohnányi nicht an; sein Klangideal ist das moderne Symphonieorchester. Doch blieb das zutiefst Erschreckende, Katastrophische dieses zerklüfteten ersten Satzes auf seltsame Weise aus. Die markerschütternde Reprise über dem gewitternden Paukenwirbel zog so unbestimmt vorüber wie das erlösende Horn-Solo in der Coda.

Am stärksten gerieten die intimeren Passagen: Im dritten Satz waren erlesene Spielkultur der Holzbläser, wunderbar aufblühende Modulationen zwischen den einzelnen Variationen und der weit und licht aufgefächerte Orchesterklang zu bewundern.

Wie ein echtes Wecksignal wirkte aber erst die voluminöse Stimme von René Pape zum Rezitativ im vierten Satz. Dank erstklassiger Solisten und eines fantastischen Chores siegten die freudenvolleren Töne. Der aus NDR-Chor und Dänischem Rundfunkchor gemischte Chor adelte Beethovens kurzatmige Phrasierungen und lang gezogenen Spitzentöne, die allzu häufig mehr gekreischt werden, zu wahrem Gesang. Und die Solisten meisterten selbst ihr mörderisch schweres Quartett "Alle Menschen werden Brüder" als hochklassige Ensembleleistung.

Da zeigte sie sich zum guten Schluss doch noch - die menschheitsbeglückende, aufrüttelnde Neunte, deren Töne sich durch jeden Panzer von Skepsis oder Distanziertheit bohren. Außerdem war es ja auch nur die Generalprobe. Das Konzert am Sonnabend galt offiziell als "Voreröffnung" - was immer das sein soll. So richtig los, mit Reden vom Ministerpräsidenten Carstensen und Festivalchef Rolf Beck, ging das SHMF erst tags drauf. Am Sonntag wurde das Konzert mit demselben Programm und derselben Besetzung noch einmal wiederholt und live auf 3sat und NDR Kultur übertragen.