Die Aufregung war den 70 Schülern aus Deutschland, Polen, Tschechien und Österreich anzumerken, als um Punkt elf Uhr tatsächlich die Bundeskanzlerin in den Glashof des Jüdischen Museums kam.

Berlin. Angela Merkel sollte dort gestern in Empfang nehmen, woran die jungen Leute (alle zwischen 15 und 20 Jahre alt) in den vergangenen neun Monaten hart gearbeitet haben müssen - das erste Exemplar ihrer 36 Seiten starken Zeitung "Weiße Flecken".

Darin erzählen die Nachwuchsjournalisten eher unbekannte Geschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus, und zwar durchaus mit wissenschaftlicher Akribie und journalistischem Anspruch. Das ambitionierte Erinnerungsprojekt, das zugleich der Medienkompetenz und - wenn man so will - der Völkerverständigung dienen soll, wurde bereits zum dritten Mal von der gemeinnützigen Hamburger Initiative "Step 21" organisiert, die Sonja Lahnstein vor elf Jahren ins Leben rief. Ziel das Ganzen: Jugendliche sollen mit medienpädagogischen Angeboten darin unterstützt werden, Selbstbewusstsein und Rückgrat zu entwickeln.

Bislang erreichte die bundesweit tätige Initiative mit rund 300 regionalen sowie internationalen Projekten und Wettbewerben mehr als 700 000 Jugendliche und rund 12 000 Schulen. Kaum ein Projekt aber sorgt indes für mehr Aufmerksamkeit als ebenjene Zeitung, für die die Jugendlichen lange recherchiert haben, welche Geschehnisse von ihren lokalen Medien seinerzeit verschwiegen wurden - oder eben verzerrt dargestellt. Dafür begaben sie sich auch in die Archive ihrer Heimatstädte und interviewten Zeitzeugen.

"Wir sollten alle miteinander versuchen, mehr über die eigene Geschichte zu sprechen", würdigte Merkel die Arbeit der Jugendlichen. Die CDU-Politikerin warnte aber zugleich: "Niemals dürfen gesellschaftliche Strukturen oder irgendwelche Missstände als Legitimation dafür herhalten, dass man ein unanständiger Mensch wird." Eine der Teilnehmerinnen hatte zuvor auf der Bühne beklagt, dass im Land Berlin die Gelder für Kinder- und Jugendzentren gestrichen würden, und gewarnt, dass solche Entscheidungen die Perspektivlosigkeit und also den Rechtsextremismus junger Leuten fördern könnten. Merkel wollte das so nicht gelten lassen und machte einen Vergleich auf: "Der Sozialismus in der DDR darf auch nicht als Entschuldigung dafür dienen, dass jemand zum Stasi-Spitzel wurde."

Wenn sich solche Argumentationsmuster durchsetzen, wäre das "der Anfang vom Ende". Sie wolle die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgehe, nicht kleinreden. Aber die Europawahl und auch die Kommunalwahlen könnten nicht als Beleg dafür herhalten, dass fremdenfeindliche Tendenzen in Deutschland und Europa derzeit Auftrieb hätten. Wichtig sei es, "im Kleinen" genau hinzuschauen. Wenn etwa Rechtsextremisten sich bei Stadtfesten in ihrem Wahlkreis einfach so mit an die Tische setzten und ihr Parolen losließen, dann gelte es dagegenzuhalten.

Die Jugendlichen, die sich 2008 bei einem Zeitungsworkshop in Hamburg kennengelernt hatten, erreichen in ihrer Zeitung ein hohes Maß an Genauigkeit, indem sie den Meldungen der Propaganda-Zeitungen in den Archiven zusammengetragene Informationen gegenüberstellen. Auch Hamburger Teams waren beteiligt. Sie setzten sich etwa mit der Geschichte der Swing-Kids auseinander, die in der Hansestadt von den Nazis verfolgt wurden, da sie mit ihrer Leidenschaft für englischen Foxtrott angeblich das "gesunde Volksempfinden" störten.

Die Zeitung mit einer Auflage von 30 000 Exemplaren soll jetzt in Schulen, Bildungszentren und Gedenkstätten verteilt werden. Kostenslose Bestellungen sind via E-Mail möglich ( weisseflecken@step21.de ).