Verlierer tragen es. Dazu Bierpulle, Altmännerbauch, Raschelhose und blasse Gedanken. Grauschleierig, mit Flecken, die Archäologen in tausend Jahren Rätsel aufgeben werden. Es ist das letzte Hemd, das Frauen an Männern sehen wollen: das Feinripp-Unterhemd.

Kein Wunder, dass Schiesser pleiteging; es gibt kein anderes Kleidungsstück, das ein dermaßen unwahres und untragbares Image (s.o.) besitzt: Bieder, prüde, doppelmaschiges Verhütungsmittel. Uniform des Prekariats, Hinterhof-Moped-Machos, mundfauler Beamter und zorniger Greise im Schrebergarten. Sogar Bruce Willis durfte das schulterfreie Heldendessous in "Stirb langsam 4.0" nicht mehr anziehen, sonst "hätte er ausgesehen wie ein Schwerverbrecher in der Todeszelle", so der Regisseur. Verbrecher, Prollo, Parolen-Opi: Am "petit Marcel", wie das männlichste und altmodischste aller Unterkleider zum Beispiel in Frankreich genannt wird, entzünden sich Klischee, Klassenhäme und Scheidungsfantasien.

Oh, du armfreies Unterhemd. Das hast du nicht verdient, so unfein als Unterschichts-Unterwäsche verleumdet zu werden; ich wette, Charlie zu Guttenberg trägt dich auch drunter, er ist so ein Typ, zupackender Gentleman. Du wärmst den Mann, wenn der Hamburger Wind fies durch Zweireiher und linksliberale Schwarzrollis fährt, du hast so etwas Landlustiges an dir, wenn dein Träger sich im sonnigen Strahl obenrum frei macht; du bist eines der letzten Dinge von gestern, die heute auch noch da sind. Die Rubbeloptik deiner Haut-Couture fühlt sich so verlässlich an, die zarten Reliefs deiner Nähe und Kanten unter dem Oberhemd künden von Werten, die im Jahr 2009 Nostalgiecharakter haben: Ehrlichkeit, Achtung, Väterlichkeit, Handschlagehre. Du bist völlig unaufgeregt, du hast den ungekünstelten Stil - nicht Style. Und das ist vielleicht dein Fehler: Du bist nicht gemacht für Männer, denen der Schein wichtiger ist als das Sein. Du irritierst Frauen, die sich den Mann an ihrer Seite glamouröser wünschen, und nicht so ... schlicht. Du lässt den Mann wirken, wie er ist, du legst ihn gänzlich frei. Das ist nicht allen zuzumuten, wahrlich; dennoch: Petit Marcel, ich vermisse deinen kochfesten Charakter. Vielleicht brauchen wir mehr Männer in Unterhemden und weniger Nieten in Nadelstreifen?

Das Leben ist keine Waldorfschule Lesung in voller (Bus-)Fahrt mit Mischa-Sarim Vérollet. Der "Poetry Bus" startet Sa., 20. 6., 17.00, ab Busbahnhof Altona (S Altona); Mitfahrt kostenlos! Internet: www.altonale.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.