Von der Kraft der Liebe handelt Kleists Stück. Doch davon spürt man wenig in Roger Vontobels Inszenierung.

Hamburg

Kleists "Käthchen von Heilbronn" ist ein schöner Traum von der Liebe, der einzigen, wahren, unbeirrbaren Liebe. Wenn man dann aber, wie zur Premiere des Stückes am Donnerstagabend im Deutschen Schauspielhaus, nichts von dieser Liebe spürt, weil bei diesem Paar so gar nichts knistert, wenn Leidenschaft, Verrücktheit, Sinnlichkeit vollkommen fehlen und die Liebe immer nur behauptet wird, dann muss diese Aufführung als misslungen gelten.

Roger Vontobel gilt als einer der jungen Regisseure, die gern als Talent gehandelt werden. Er hat das Stück über die junge Frau, die sich im Traum in den Grafen Wetter vom Strahl verliebt und diesem Traum so lange folgt, bis er Wirklichkeit geworden ist, als karge, schwarz-weiß gehaltene Versuchsanordnung in einem leeren, seelenlosen Raum (Claudia Rohner) inszeniert, über dessen Decke gelegentlich Wolken- und Videoprojektionen huschen. Mit der sehr burschikosen Jana Schulz in der Titelrolle, die sich durch vielerlei Rumgeturne und -gerenne sichtlich schinden muss. Die immer schmutzig und abgerissen aussieht. Wie Mowgli, der Urwaldjunge. Bürschchen statt Käthchen. Kein hingebungsvolles, unergründlich naives Mädchen, sondern ein tapsiger, grober Teenager. Ob Mann oder Frau, wer weiß es genau? Sie erinnert eher an ein Kind, das mit dem Kopf durch die Wand will, wenn sie von Liebe spricht, als an eine Frau voller Leidenschaft, der es egal ist, ob man sie für hörig hält.

Graf Wetter vom Strahl, Objekt ihrer hündischen Liebe, ist bei Guntram Brattia kein strahlender Ritter, sondern ein dandyhafter Mann, der viel zu lange bei seiner Mutter (Irene Kugler) lebt. Käthchens Anbetung nervt ihn, er schreit sie an. Oder er redet ihr gut zu, wie ein Lehrer einer bockigen, begriffsstutzigen Schülerin. Sie ist zu männlich, er ist zu alt - kein Wunder, dass man da vom alles überwindenden Liebestaumel nichts spürt.

Und leider ist man als Zuschauer viel eher auf seiner Seite, statt mit Käthchen an die Unerschütterlichkeit ihres Gefühls zu glauben, das sich über alle Widerstände hinwegsetzt. Von dieser Liebes-Stalkerin würde man sich wohl auch belästigt fühlen. Darin liegt der Grundfehler dieser Inszenierung: sie schlägt sich nicht auf die Seite der Liebenden, sie traut dem Gefühl nicht.

Käthchens Konkurrentin ist Kunigunde von Thurneck, die der Graf eigentlich heiraten will. Julia Nachtmann spielt sie als schöne, temperamentvolle Frau, die so viel aufregender ist als das Käthchen, dass man überhaupt nicht begreift, warum der Graf sich am Ende für Käthchen entscheidet und nicht für sie. Bei Kleist ist sie eine böse Fee, die falsch spielt. Hier gibt uns der Regisseur dagegen zu verstehen, dass die Liebe manchmal einfach seltsame Wege geht.

Was gab es noch zu sehen? Einen vielstimmigen Chor, der zuweilen das Bühnengeschehen begleitet (so etwas ist gerade in Mode), Zaubertricks mit zwei Briefen (so etwas ist immer nett), einen herabstürzenden Bühnenhimmel, der viel Wind verursacht (so etwas wirkt immer) und Schauspieler, die laut singen (so etwas ist meist überflüssig).

Beinahe schon Routine ist es nun wohl am Schauspielhaus, dass das restliche Ensemble mit Ausnahme von Michael Prelle, der als Käthchens Vater wahrhaftig und verstört auf den Wahn seiner Tochter reagiert, wieder nur auf unterstem Mittelmaß spielte, hölzern, nichtssagend, lahm. So, als sei dies nicht das Deutsche Schauspielhaus, sondern das Stadttheater Augsburg. Tristan Seith, der den Knecht Gottschalk recht amateurhaft gespielt hatte, bekam sogar Applaus dafür, dass er kugelrund durch die Aufführung gewatschelt war. Wann wird es endlich besser? In dieser Spielzeit sicher nicht. Dies war die letzte Premiere vor der Sommerpause.