Komponieren kann man lernen - aber nur, wenn man Begabung dafür hat. Ein Besuch in der Kompositionsklasse von Fredrik Schwenk.

Hamburg. Drei Monate Arbeit für vier Minuten Kammermusik. Kein schlechter Schnitt, wenn man bedenkt, dass Johannes Brahms sich 14 Jahre lang mit seiner ersten Sinfonie herumgeschlagen hat. Von ihm stammt auch das Bonmot, Komponieren sei ganz einfach, schwer sei nur, die unnötigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen. Diese Erkenntnis kann Antonis Adamopoulos nachvollziehen. Den Konstruktionsplan seiner "Miniaturen" für Flöte, Klarinette, Horn, Schlagzeug, Geige, Bratsche und Cello hat er an die Tafel geschrieben, so, wie er es erklärt, ist alles klar, übersichtlich. Einfach, fast.

Wir sind in der Hochschule für Musik und Theater, im ehemaligen, edel getäfelten Raucherzimmer des Budge-Palais, dort, wo Fredrik Schwenk seinen Kompositionsschülern Einzelunterricht erteilt. Für Notfälle ist ein Flügel mit Außenalsterblick vor dem Fenster geparkt. Oft wird er nicht gebraucht, die Praxis haben alle Anwesenden ja schwarz auf weiß vor sich. Und dieses Kleinstklassentreffen ist eine Besonderheit. Normalerweise macht Komponieren einsam. Hin und wieder macht es auch glücklich.

Komponieren lehren? Komponieren lernen? Beides klingt wie ein Ding der Unmöglichkeit, beides ist brutal harte Arbeit. "Das kann man lernen, wenn man die Begabung mitbringt und genügend Fantasie, um sich die Parameter eines Stücks vor dem inneren Ohr vorzustellen", sagt Schwenk. Seit 2000 unterrichtet er hier, immer nur eine knappe Handvoll Studenten, die Auswahlverfahren sind streng, der Andrang groß. Wer es geschafft hat, trifft sich einmal wöchentlich mit Schwenk, für eine oder anderthalb Stunden. Benjamin Scheuer nimmt seit Kurzem auch Unterricht bei Wolfgang Rihm. Kein großes Ding, spielt Scheuer diesen Erfolg lässig herunter. Demnächst fährt er nach Holland, wegen der Musik, die er für eine Tanztheaterproduktion geschrieben hat, vor einigen Wochen fand in der Blankeneser Kirche die Uraufführung von "Missa - Stilles Geschrei" statt. Scheuer hat gerade einen Lauf. Aber er ist auch clever genug, um zu wissen, dass dies keine Lorbeeren sind, auf denen man sich ausruhen oder gar sicher fühlen darf.

+++ Schöne Töne +++

Der Unterricht hier ist eine Mischung aus Lebenshilfe und dem Hinterfragen von Kunst-Handwerk. Schwenk muss es seinen Studenten einige Jahre lang immer wieder im richtigen Moment schwer machen. Wer bislang nicht viel mit Stimme zu tun hatte, bei dem soll es gerade deswegen ein Vokalstück sein. Anna Mikolajková, von Haus aus Blockflötistin und entsprechend schnell mit Eigengebrauchsmusik, feilt jetzt an einem Stück für Gitarre solo. Das übt viel mehr, als etwas zu schreiben, was man schon kann.

Dumm für sie und ihre Mitstudenten ist nur, dass in der Musik schon so viel erfolgreich war - oder scheiterte. So viele Regeln, so viele Freiheiten. Tonales, Atonales, Zwölftonmusik, Zufallsmusik, Geräuschmusik. Sogar provokante Stille, John Cages legendäres "4'33"" ist schon durch und nur noch Fußnote, alles schon mal da gewesen. Das macht die Sache überhaupt nicht einfacher. Ein Rekordschreiber wie der Hamburger Barockmeister Telemann hätte vier Minuten Kammermusik wahrscheinlich schon vor dem zweiten Frühstück fertig gehabt, doch der hatte auch feste Regeln und bewährte Formate. Heutzutage geht alles. Und dennoch merkt das Publikum, wenn jemand substanzarm blendet.

In China, berichtet Schwenk, da würden Kompositionsstudenten noch im Abliefern klassischer Sinfonien gedrillt. Keine schöne Vorstellung, kommentiert sein Gesichtsausdruck diesen Lehrplan. Am Ende der hiesigen Ausbildung steht ein Konzertprogramm. Bis es so weit ist, dürfen unter seiner Aufsicht noch Fehler gemacht werden, wenn möglich allerdings einfallsreiche. An der Hamburger Musikhochschule gibt es eine lange Tradition; Ligeti hat hier unterrichtet und wie jeder gute Lehrer seinen Schülern eingebläut, sie sollten nur ja nicht so schreiben wie er. Die Balance zwischen dem, wofür ein Lehrer steht, und dem, was der Student als seinen eigenen Weg, seinen eigenen Tonfall finden soll, ist heikel. Einengen, Vorschreiben, Tunnelblick gelten als Sünden, die dennoch immer wieder begangen werden.

Schwenk beschreibt seinen Stil als "grundtonorientiert", er spricht von "Reduktionismus" und "Sparsamkeit des Materials". Außer ihm unterrichtet auch noch der Ligeti-Schüler Manfred Stahnke, für elektronische Musik ist Georg Hadju zuständig. Zum Ende des Semesters stellt Peter Michael Hamel die Lehrtätigkeit ein. Die Stelle wird nicht wieder besetzt. Kostengründe.

"Komponieren muss so authentisch wie möglich sein", sagt Schwenk. Man müsse spüren, dass die Musik etwas zu sagen habe. Sagt sich relativ leicht, solange man nicht selbst vor einem leeren Blatt sitzt, vor einer gehässig abwartenden Klaviertastatur oder, wie es heute fast die Regel ist, vor einem stoisch blinkenden Computercursor. Die Muse kann in solchen Ewigkeiten ein verdammt launisches Biest sein. Doch auch bei Stücken aus dem Rechner-Druck, erzählt Schwenk, würde er ohne eine gehörte Note merken, wie jemand tickt: Sind die Noten eng gesetzt, denkt jemand eher klein? Oder sind sie weit, offen, in großen Bögen, mit mutiger Weite?

Stress und Krisen kennen Schwenks Studenten nur zu gut. Adamopoulos schrieb seine "Miniaturen", während er die Stücke für sein Abschlusskonzert premierenreif machte. Auch Mikolajková kann sich, obwohl sie es so nicht sagt, wohl Schöneres vorstellen als ein Stück für ein bislang total fremdes Instrument. Doch bei beiden ist der Wille spürbar, sich durchzubeißen. Komponieren macht Arbeit, und es macht süchtig. "Ich will doch, es ist doch wichtig für mich", beschreibt sie ihre selbstquälerische Leidenschaft, mit den Fingern schnippend, als wäre es nur ein Spiel. "Ich habe riesige Lust, mich zu verbessern, meine Gedanken zu vertiefen", sagt Adamopoulos. Komponieren formt nicht nur Stücke, es formt auch die Persönlichkeit. Krisen gehören bei beiden dazu, "die gibt es immer", die kommen und gehen, je nach Terminlage. Über ein anderes Komponisten-Bonmot - "Ich brauche keine Zeit, ich brauche Abgabefristen" - können sich beide prächtig amüsieren. Das ist ihre Welt. Dort ist es nun mal so, dass nur die allerwenigsten Gelegenheit haben werden, gut mit ihrer Arbeit zu leben. Und noch weniger werden von ihr leben können. Wer sich davon abschrecken ließe, wäre falsch in Schwenks Unterricht. Nicht zu vergessen: einige der Musiker da draußen, vor der Hochschultür. "Ich kann alles ...", hörte Adamopoulos kürzlich einen Orchestermusiker dröhnen, als es darum ging, ob eine Passage für ihn spielbar wäre. Die Stelle blieb so, erzählt er selbstbewusst. "Wegen einer schlechten Bratsche ändere ich nichts."

Als Adamopoulos den CD-Mitschnitt seines Stücks einlegt, will Mikolajková die Noten sehen. Mitlesen, nachvollziehen, wie er es gemacht hat. Als die vier Minuten um sind, fragt Schwenk, wie ein ganz bestimmter Akkordklang zustande gekommen ist, ob der Absicht war oder Zufall. Eher Zufall, lautet die Antwort, aber Adamopoulos ist auch über diesen kleinen, feinen Zufall froh. Künstlerglück, das seine drei Monate Arbeit für diesen einen Moment, in dem alles noch besser passt als gedacht, spielend wettmacht. So ganz nebenbei, als wäre es harmlos, kommentiert Schwenk diese geliebte Schinderei: "Die Sucher haben es immer schwerer."