Dirigent Jeffrey Tate und Symphoniker-Intendant Daniel Kühnel im Interview über finanzielle und künstlerische Herausforderungen.

Hamburg. Sie sind ein eingespieltes und doch ungleiches Team. Der Jüngere nennt den Älteren respektvoll "Maestro", andersherum wird er - nicht weniger respektvoll - "Daniel" gerufen. Im Abendblatt-Gespräch erklären Daniel Kühnel, 39, Intendant der Hamburger Symphoniker, und sein Chefdirigent Jeffrey Tate, 69, warum die Stadt Hamburg ihnen gegenüber trotz einer 500 000-Euro-Förderung aus Berlin in der Pflicht ist, was eine Musikstadt ausmacht, wie eine berühmte Baustelle die Gagen beeinflusst - und warum das Orchester seiner Heimatstadt jetzt erst recht noch mehr zurückgeben möchte.

Hamburger Abendblatt: Gerade konnten Sie verkünden, dass Sie über 500 000 Euro aus Bundesmitteln für ein Projekt zum Thema Reformation bekommen. Glückwunsch zum unverhofften Geldsegen.

Jeffrey Tate: ... erhofften Geldsegen!

Daniel Kühnel: Ein Jahr haben wir daran gearbeitet!

Bislang hieß es immer, dass Ihnen eine große Summe fehlt, um den nächsten Schritt zum A-Status Ihres Orchesters zu gehen. Dafür allerdings dürfen Sie die halbe Million nun gar nicht ausgeben - das Geld ist projektgebunden.

Tate: Ja. Unser Geldproblem bleibt.

Kühnel: Es ist für ein Projekt viel Geld, aber wenn man mit guten Chören arbeiten möchte, die über die Größe des NDR-Chores hinausgehen, kostet das Übernachtungen, Flüge, Gagen, ebenso bei den Solisten. Zu diesem Projekt gehört ja eine ganze Reihe von Konzerten, die sich über die gesamte Saison verteilen. Die Kosten summieren sich also. Auch technische Aufwendungen sind nötig: In der Laeiszhalle ist ja nichts außer der Bühne und den Stühlen. Jeder Scheinwerfer, jede Lichtinstallation muss angemietet werden.

+++ Was ist ein A-Orchester? +++

Im Programmheft steht das Reformations-Programm bereits - das Geld aus Berlin war Ihnen bei Drucklegung aber noch gar nicht sicher. Was wäre passiert, wenn die Zusage nicht gekommen wäre?

Tate: Man muss ab und zu spielen - sonst entstehen keine schönen Projekte! Wir haben ein bisschen riskiert.

Kühnel: Die Chorverträge - das können Sie nicht wissen, Maestro - werden erst jetzt unterschrieben. Wir waren also formal so vorsichtig, dass wir uns nicht in Schulden gestürzt haben. Wir müssen ja immer ein Jahr oder anderthalb im Voraus planen, kein Projekt wird so lange im Voraus bezuschusst.

Hätten Sie denn auch ohne den entsprechenden Fördertopf zur Luther-Dekade etwas zur Reformation geplant?

Kühnel: Vermutlich nicht in diesem Umfang. Erstaunlicherweise sind wir ja die einzige Hamburger Kulturinstitution, die sich um diesen Topf beworben hat - und das einzige Orchester bundesweit. Aber wir haben uns schon früher mit Themen beschäftigt, die in der Luft lagen, etwa als Hamburg Green Capital war. Man muss sich doch fragen: Wie muss ein Orchester in einer Musikstadt sein? Wie muss eine Musikstadt sein? Es muss eine musikalische Antwort auf jede Frage geben, zu jedem Thema. Eine musikalische Sicht auf das Leben, auf die Politik, die sozialen Probleme. Ein Orchester ist ein Kompetenzzentrum für Musik, als ein solches müssen wir diese Verantwortung wahrnehmen. Nur zu sagen, wir machen etwas zu Martin Luther, weil da Geld zu holen ist: Das wäre uns nicht möglich, wenn es nicht Relevanz und Substanz hätte.

Ihre Probleme löst das projektgebundene Geld nicht. Bremst es womöglich dennoch die Motivation der Stadt, Ihnen institutionell mehr Geld zu geben?

Tate: Das wissen wir nicht.

Kühnel: Ich hoffe doch, dass kein ernsthafter Mensch auf die Idee kommt, uns wegen eines Erfolges in der Projektförderung die grundsätzlich notwendigen Betriebsmittel zu verweigern. Die sind seit drei Jahren zugesagt, ihre Notwendigkeit liegt auf der Hand, und niemand bestreitet sie.

Man könnte ja auch andersherum argumentieren: Durch die Projektförderung richtet sich der Scheinwerfer auch von außerhalb Hamburgs auf die Symphoniker. Deren Ruf bemisst sich nicht nur an der intellektuellen Qualität des Programms, sondern auch an der klanglichen Qualität. Eine bessere Ausstattung wäre also umso drängender.

Tate: Absolut.

Kühnel: Die Projektförderung ist eine unglaubliche Anerkennung der Potenz der Symphoniker. Ein weiterer Baustein dessen, worüber man in Hamburg sowieso seit Jahren spricht. Durch die Elbphilharmonie ist in der Stadt eine massive Veränderung eingetreten. Die fordert von uns allen, dass wir besser werden, dass wir internationalen Standards gerecht werden. Wir merken das in jedem Gespräch mit Künstleragenturen in New York oder England. Die neue Aufmerksamkeit bestimmt neue Preise.

Tate: Hamburg ist kein Ort zum Ausprobieren mehr, es ist ein echtes Ziel.

Müssen hier schon jetzt höhere Gagen als früher oder als anderswo gezahlt werden, weil die Elbphilharmonie gebaut wird?

Kühnel: Aber ja.

Tate: Natürlich!

Kühnel: Nicht nur durch den Bau. Auch dadurch, dass es mit den Elbphilharmonie-Konzerten einen neuen, sehr profilierten Mitbewerber gibt. Diese Situation ist nicht gewachsen, sie wurde installiert. Ich kritisiere das nicht ...

Tate: Im Gegenteil!

Kühnel: ... aber für die Dynamik eines Marktes ist es ein Kracher. Uns spornt das an. Man muss den Herausforderungen gerecht werden. Sonst hat man jahrelang "Musikstadt" gerufen, aber es kommt nur ein großes Loch. Die Frage ist, ob diese Stadt sich ernst nimmt. Es ist bereits eine Realität geschaffen worden, die man jetzt nicht ignorieren kann. Und die Symphoniker sind längst nicht mehr auf dem Niveau von vor zehn Jahren. Wofür wir kämpfen - und wofür wir mittlerweile die Zusage von drei verschiedenen Senaten haben -. ist, den Stand eines Orchesters in einer mittelgroßen deutschen Stadt zu erreichen. Bochum oder Weimar.

Tate: Das ist kein Griff nach den Sternen.

Was konkret braucht das Orchester künstlerisch denn?

Tate: Mehr Spieler in wichtigen Positionen. Mehr Cellisten. Noch eine erste Klarinette. Sehr bald eine erste Trompete, noch einen Konzertmeister. Wir brauchen die Positionen - und auf ihnen eine bestimmte Qualität.

Wenn Ihnen drei Senate zugesagt haben, dass Sie die Aufstockung zum A-Orchester bekommen sollen - woran hapert es?

Tate: Das wissen wir nicht.

Sie werden doch mal gefragt haben.

Tate: Ich habe ein einziges Mal mit Frau Kisseler zusammengesessen, als die Nachricht im letzten Sommer kam, dass dieses Geld erst einmal nicht kommt. Seither nicht mehr. Ich würde gern von ihr oder auch von Bürgermeister Scholz wissen, was wir zu erwarten haben.

Über welche Summe reden wir denn?

Kühnel: Für fünf oder mehr Stellen zusätzlich bräuchten wir knapp über eine Million mehr jährlich. Davon 500 000 Euro für den Status quo. Wir haben ja den A-Status noch nicht erreicht, wir sind auf dem Weg. In Absprache mit der Stadt eingegangene Verpflichtungen müssen wir weiterhin erfüllen können!

Was ist, wenn Sie das Geld nicht bekommen? Sie, Herr Tate, haben Ihren nächsten Vertrag noch nicht unterschrieben, Ihr aktueller läuft im Sommer aus.

Tate: Ich habe die Verlängerung inoffiziell schon zugesagt. Die kommende Saison ist mit mir geplant. Aber ich bin nicht zufrieden mit der Situation. Ich will, dass unser Niveau steigt, nicht abfällt, weil wir nicht genug sehr gute Leute bekommen. Und weil die, die wir haben, sich von der Stadt verlassen fühlen.

Was reizt Sie denn so an dem Orchester, an der Stadt, dass Sie trotz der Unzufriedenheit bleiben wollen?

Tate: Ein sehr wichtiger Faktor ist Daniel Kühnel. Wir denken sehr ähnlich, wir sind ein echtes künstlerisches "Paar", das ist selten. Und ich liebe meine Musiker. Wie schön zum Beispiel die Streicher klingen! Ich mag Hamburg sehr - und ich liebe die Laeiszhalle!

Kühnel: Die Hamburger teilen die Zuneigung von Maestro Tate offenbar: Seit seinem Antritt bei den Symphonikern vor drei Jahren haben wir die Zuschauerzahlen um fast 57 Prozent gesteigert.

Ist der Markt nicht irgendwann gesättigt?

Tate: Es gibt viel mehr Potenzial. Die Elbphilharmonie wird noch ein anderes Publikum bringen, auch von außerhalb. Aber bis dahin haben wir noch etwas Zeit, unser Stammpublikum zu fixieren.

Kühnel: Eine Musikstadt wird nicht in Beton gegossen und aus Glas gebaut. Das muss mit Musik gefüllt werden! Die Herausforderung ist, einen Hamburger Klang zu entwickeln. Das können nur lokale Orchester. Nur so entsteht eine Szene. Warum ist Paris für seine Küche berühmt? Doch nicht, weil die New Yorker dort die besseren Burger braten.