Seit mehr als 50 Jahren steht Dieter Hallervorden auf der Bühne. Er kann viel mehr als “Palim, Palim“. Am 11. Mai ist er im St.-Pauli Theater.

Berlin. Am Bühneneingang muss man klingeln. Keiner da. Der Hausherr steht am offiziellen Eingang "seines" Theaters, des Schlosspark-Theaters in Berlin. Irgendwie finden wir uns, schließlich ist Dieter Hallervorden, dessen zerknautschtes Gesicht samt rollenden Augäpfeln früher das Synonym für Blödelkomik war, unübersehbar. Dank seines kanariengelben Hemdes.

Wohlerzogen wie ein frisch gekämmter Grundschüler grüßt Hallervorden. Vor dem Gespräch bietet er, der die ehemalige Staatsbühne für zehn Jahre gepachtet hat, um dort "Stücke mit Geist und Humor" zu zeigen, einen Rundgang durchs Theater an. Samt Hinterbühne. Schnell taut er auf, als er merkt, dass man die Leidenschaft fürs Theater teilt. "Kennen Sie meinen Lieblingsspruch vom Theater", frage ich ihn, "Dezenz ist Schwäche?" - "Ja", antwortet er, "da habe ich mich aber nicht immer dran gehalten."

Wohl wahr. Hallervordens Auftritte, wie er sie von den 70er- bis zum Anfang der 90er-Jahre im Fernsehen zeigte, konnten schon mal damit beginnen, dass er durch eine Tür trat, sich an der Garderobe verhedderte, mit beiden Füßen in Eimern landete, mit den Händen zwischen die Jalousien geriet, um mit dem Gesicht in zwei Stachelpalmen zu landen. Hintersinn sieht anders aus. "Nonstop Nonsens" hieß nur eine seiner vielen TV-Shows, in denen er zum "Klamottenkönig" oder zur Knallcharge wurde. Wie konnte das passieren?

+++Sein Leben zwischen Blödelei und Kabarett+++

Hallervorden ist studierter Romanist, hat eine Doktorarbeit zum Thema "Charles Maurras und die Action Française" begonnen, ist gelernter Schauspieler und gründete 1960 das politische Kabarett Die Wühlmäuse. "Schauspieler bin ich nur geworden, weil ich in West-Berlin einsam war nach meiner Flucht. Dann sah ich an der Uni einen Aushang für eine Theatergruppe und dachte mir, da gehste mal hin, da lernste wenigstens jemand kennen." Kaum vorstellbar, Dieter Hallervorden, der schon Komiker war, bevor es Comedians gab, der Kabarettist ist, Übersetzer aus dem Französischen, Theaterleiter und Fernsehstar, ist eigentlich ein scheuer, schüchterner Mensch. Kein Kantinenclown, Witzeerzähler oder jemand, der jeden Tisch zum Brüllen bringt. Hallervorden ist zwar pausenlos unterwegs, um sich Aufführungen anzusehen, geht aber fast nie auf Partys. Schon gar nicht auf Events. "Ach", sagt er, als es um eine Großveranstaltung mit rotem Teppich geht, "da war ich auch eingeladen. Aber so was ist nichts für mich."

Dieter Hallervorden steht seit mehr als 50 Jahren auf der Bühne. Angefangen hat er klassisch, als Truffaldino in Schillers "Turandot". Aber jemand, der so oft falsche Zähne, Perücke und Kostüm trägt, der taugt eher zum Komiker. Berühmt geworden ist Dieter Hallervorden als Didi, eine Kunstfigur aus dummdreistem Blödian und frechem Einfaltspinsel. So ganz das Gegenteil von Dieter Hallervorden, dem höflichen Herrn, der stets aufmerksam nachfragt, "möchten Sie noch Wasser?", um zum Aufbereitungsautomaten zu gehen und nachzuschenken.

"Ich habe nicht viele Talente" erklärt Hallervorden bescheiden, "aber ich kann mir ein Stück, das ich lese, gespielt vorstellen." Daher auch seine Leidenschaft, als Theaterleiter Spielpläne aufzustellen, die mindestens acht verschiedene Aufführungen pro Monat präsentieren, der neben den 500 Plätzen im Schlosspark-Theater die 450 Plätze im Kabarett Die Wühlmäuse allabendlich füllen muss, der ein Kleinkunstfestival organisiert, Fernsehen macht und so viel anderes auch noch.

"Aber am liebsten spiele ich", sagt Hallervorden und gibt zu, auch Lampenfieber zu haben, "spielen ist ja die Keimzelle unseres Berufes. Ich wollte ursprünglich Lehrer werden, konnte mir aber nicht vorstellen, mich 50 Jahre damit zu beschäftigen, dass das lateinische a in offener Silbe irgendwann zum e diphthongierte." Da er schreiben wollte, spielen und seine eigene Meinung sagen, entschloss er sich 1960 fürs politische Kabarett. "Die Wühlmäuse zu gründen, war ein großes Risiko", sagt Hallervorden, "mich kannte ja niemand." Zehn Jahre hat es gedauert, bis der Erfolg kam.

+++"Didi", Theater-Narr und gut gelaunter Neu-Intendant+++

"Später habe ich dann Didi erfunden", erklärt Hallervorden. Und das Kinn, das er in den 20 Jahren mit Didi immer so nach links verzogen hat, kräuselt sich in tausend Falten, die nie mehr weggehen. "Ich schäme mich nicht für Didi, aber ich war in einer Schublade, aus der ich nur sehr schwer wieder herauskam." Seit 1992 möchte Dieter nicht mehr Didi sein. So ganz wird das wohl nie gelingen. Es fällt schwer, Dieter Hallervorden anzuschauen und nicht heimlich im Kopf "Palim, Palim" zu sagen oder an die "Flasche Pommes" zu denken, die Didi immer kaufen wollte.

Schön war's nicht, berühmt zu sein, behauptet Hallervorden "immer sollte ich den Kasper geben. Der Vorteil ist allerdings, dass ich mir von dem Geld, das ich damals verdient habe, jetzt das Theater leisten kann", sagt er und lacht dabei ganz diabolisch, indem er endlos laut ausatmet. 1,6 Millionen Euro Privatvermögen hat er schon reingesteckt.

Hallervorden scheint zu jenen Künstlern zu gehören, die auf der Bühne die Sau rauslassen, weil sie privat so etwas nie tun würden. "Natürlich musste ich so heftig spielen und Grimassen schneiden, weil der Text es verlangt hat", erklärt er. "Wenn ich eine Apfeltorte ohne Gräten bestelle, kann ich doch nicht reden wie hier im Interview", fügt er hinzu. "Ich hatte eben den Mut, bis zur Karikatur zu gehen. Meine Schauspiellehrerin hat mal gesagt: 'Junge, ich habe mich totgelacht, aber geschämt hab ich mich trotzdem.' Na ja, so isses", sagt er und presst wieder sein ausatmendes Lächeln heraus.

Sein Programm "Stationen eines Komödianten", mit dem er nun im St.-Pauli-Theater gastiert, hat er 200-mal gespielt. "Es ist ein Rückblick auf meine Karriere, mit allen Figuren und Verkleidungen, großer thematischer Vielfalt und sehr viel unterschiedlichen schauspielerischen Farben. Natürlich sind nur die Rosinen drin. Wär ja traurig, wenn das kein Erfolg wäre", sagt er. "Wer da nicht lacht, muss ein blinder Japaner sein." Am Ende des Interviews bringt mich Hallervorden zum Taxi. Der türkische Taxifahrer flippt schier aus, als er Hallervorden sieht. "Didi", ruft er, greift nach seinem Handy und will ein Foto. Mach ich. "Danke Didi", sagt er. Hallervorden sieht glücklich aus.

"Stationen eines Komödianten", 11. Mai, St.-Pauli-Theater, Karten unter T. 47 11 06 66