An diesem Sonnabend geht der in jeder Hinsicht neue und sehenswerte Digitalkanal ZDF Kultur auf Sendung

Mainz. Als er aus dem Taxifenster schaut, beginnt der Reporter an der Ortskenntnis seines Fahrers zu zweifeln. Der Wagen hat vor einem Gebäude mit großen Glasflächen gestoppt, das farblich in Altrosa gehalten ist. Auf Höhe des Daches finden sich funktionslose Bögen. Wegen der abweisenden Verglasung und einiger turmartiger Elemente wirkt der Komplex wie eine Festung. Hier soll der neue hippe TV-Sender ZDF Kultur nebst 3Sat und eines Ablegers von Arte sitzen? Ja, in diesem misslungenen Beispiel postmoderner Architektur, das eher nach Las Vegas als in die rheinischen Pampa passt und in dem einst Sat.1 residierte, entsteht tatsächlich eines der derzeit ambitioniertesten deutschen TV-Projekte.

Dabei klang die Projektbeschreibung ursprünglich wenig spektakulär: 2009 entschloss sich das ZDF, seinen Theaterkanal in einen Kulturkanal umzuwidmen. Es beauftragte mit dieser Aufgabe Wolfgang Bergmann, den Chef des Theatersenders, sowie Daniel Fiedler, Koordinator von 3Sat. Die beiden Herren taten etwas, was man von lang gedienten Insassen einer öffentlich-rechtlichen Anstalt nicht unbedingt erwarten kann: Sie machten sich Gedanken über den Kulturbegriff, für den ihr neuer Kanal stehen sollte. Die hierzulande übliche Trennung von E- und U-Kultur lehnten sie ab. Stattdessen verfielen sie auf den Begriff Spiel. "Das ist unsere wichtigste Vokabel", sagt Fiedler. "Sie umfasst das Theaterspiel ebenso wie das Computerspiel."

Fiedler sitzt in seinem Büro im dritten Stock der altrosafarbenen Festung. Der Mittvierziger trägt ein schwarzes Oberhemd, eine Brille von Prada, deren Fassung in derselben Farbe gehalten ist, kurze Haare und einen Bart, in dem die ersten grauen Haare sprießen. Fiedler kommt eher aus der Hochkultur. Bevor er zum ZDF ging, war er Dramaturg am Deutschen Theater in Berlin. Dennoch ist ihm eine "popkulturelle Haltung" wichtig. Popkultur ist für ihn eher das Gegenteil von Chart-Pop. ZDF Kultur wird allein in diesem Jahr sieben Musikfestivals übertragen - von Hurricane über Roskilde und Splash! bis zu Wacken. Bei der Konzertreihe "Berlin Live", die diesen Sonnabend startet, kooperiert der Sender mit dem Independentradio Motor FM. Das interaktive Musikmagazin "On Tape" entsteht in Zusammenarbeit mit dem Online-Musiksender tape.tv. Das Kultmagazin "Vice" hat eine eigene Sendung. Und die famose Musik-Talkshow "TV Noir", bekannt aus dem Internet und dem Berliner Offenen Kanal, hat bei ZDF Kultur ebenfalls Platz.

Solche Kooperationen sind Fiedler wichtig. Offenbar kennt er sich sehr gut in der Szene aus. Als sein Gast sagt, er kenne da ein Format aus Hamburg, das gut zu seinem Sender passen würde, unterbricht er ihn: "Sie meinen die ,Konspirativen Küchenkonzerte'? Mit denen sprechen wir gerade. Voraussichtlich laufen sie ab Sommer bei uns."

Wir sind mittlerweile im Souterrain. Hier hat die Redaktion von "Marker" ihren Sitz, die für Fiedler das Herzstück des Senders ist. Sie erfüllt drei Funktionen: Die Redakteure produzieren ein tägliches Magazin, das um 20 Uhr läuft. Sie vertreten den Sender mit einem Blog im Internet und in mehreren sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook. Und ihre vier Moderatoren Rainer Maria Jilg, Lukas Koch, Jo Schück und Nina Sonnenberg führen durch das Programm des Senders.

Bei ZDF Kultur haben sie die guten alten Ansager neu entdeckt. Das ist sinnvoll. Scheinbar Disparates steht im Programm nebeneinander. Als Erbe des Theaterkanals gibt es noch Theaterübertragungen und ein Theatermagazin. Die Sendung "Pixelmacher" befasst sich allein mit Computerspielen. Und Katrin Bauerfeind ist mit ihrem "Magazin für Popkultur" von 3Sat ins Programm von ZDF Kultur gezogen.

Zwischen 0 und 18 Uhr laufen fast ausschließlich Wiederholungen, darunter unter dem Rubrum "ZDF Kult" auch Absonderliches aus den Archiven des Senders wie Thomas Gottschalks 80er-Jahre-Show "Na sowas!". Nur so konnten die Kosten halbwegs im Rahmen bleiben: Der Etat liegt im ersten Jahr bei 12 Millionen und im zweiten Jahr bei 18 Millionen Euro.

Wenn ZDF Kultur halbwegs das bietet, was Fiedler verspricht, erfüllt es den Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen auf geradezu vorbildliche Art und Weise. Nur warum muss ein solcher Sender in einer altrosa Festung oberhalb von Mainz sitzen? Wäre Berlin nicht angemessener? "Ich würde sofort nach Berlin ziehen", sagt Fiedler.