Bei Verdis Opern-Hit “Aida“ verzichten Regie und Bühnenbild auf Ägypten-Deko und überzeugen mit einer stringenten Deutung.

Hamburg. Wenn ein Welt-Hit der Oper wie Giuseppe Verdis "Aida" Premiere hat, will jedes Opernhaus glänzen. Der Start der neuen "Aida" der Hamburgischen Staatsoper am Sonntag war vom vollen Glanz nicht allzu weit entfernt, der Applaus deshalb fast schon unhanseatisch großzügig.

Tragende Bauteile für diesen Erfolg: die eingängige, nur wenig verrätselte Inszenierung von Guy Joosten, der bis auf das Augen-Make-Up der Pharaonentochter Amneris konsequent jede Ägypten-Folklore verbannt - und sich am Ende die Regie-Freiheit erlaubt, die unglücklich in den Feldherrn Radames Verliebte in das zugemauerte Grab zu stecken, in dem bereits Radames qua priesterlichem Urteil und Aida aus Liebe ihr Leben beschließen werden. Dafür haben sie sich bei Wagners "Tristan" übrigens den Liebestod durch Gift abgeschaut, anstatt still zu verschmachten.

Joosten, der 2006 in Hamburg bereits "La Bohème" im Puppenhaus auf die Bühne brachte, bricht die Opernhandlung immer wieder durch Traumsequenzen, wenn die Figuren über ein besseres Leben, ihre Hoffnungen oder Ängste sinnieren. Dann überzieht ein Geflecht von unentwirrbaren, auf die Kulissen projizierten Beziehungs- und Verbindungslinien die Bühne und hält die Sänger optisch gefangen. In dem perfiden Kampf zwischen Vaterland, Liebe und persönlichem Glück gibt es keinen Ausweg.

Überhaupt - das Bühnenbild: Johannes Leiacker (in Hamburg bekannt durch Konwitschnys "Don Carlos", "Moses und Aron" und die "Meistersinger") hat eine streng weiße Überwältigungsarchitektur der Macht geschaffen, ein lebensfeindlich steriles Gegenbild zur freien, grünen Natur ihrer Heimat, von der Aida schwärmt.

Die Kulissenteile lassen sich verwirrend wie ein 3-D-Puzzle immer neu gegeneinander verschieben, bis sie sich am Ende zu einem unendlich scheinenden unterirdischen Grabgang ordnen, der gefühlt bis weit unter die Binnenalster führt. Immer wieder tauchen an den Wänden große, schwarze Ameisen auf, ohnmächtige Zuträger in einem Gemeinwesen, das auf einzelne keine Rücksicht nimmt. Jorge Jara hat dazu Kostüme geschaffen, die das perfekte Zusammenspiel von Pharao, Spitzenmilitärs und Oberpriestern signalisieren: für die Machthaber mal feldgraue Uniformen, die entfernt an Wehrmacht erinnern, mal weißes und ordensbehängtes Gala-Outfit. Für die Herren von der Religion paramilitärische Soutanen, mit Achselstücken oder Orden. Dazu kommen die bedrohlich real aussehenden Kampfanzüge der geschlagenen Äthiopier und bei den Damen eine exquisite Sammlung cremefarbener Cocktail- und Abendkleider beim Triumphmarsch. Der wird ganz großes Kino mit der Siegesparty der Ägypter, bei der Erinnerungsfotos vor geschundenen Kriegsgefangenen geschossen werden. Musikalisch dagegen kommt er erfrischend unspektakulär daher, so wie Carlo Montanaro die gesamte Partitur eher sachlich, manchmal fast kammermusikalisch dezent, fast schon zu rasch und zu gefühlsreduziert zum Klingen bringt. Die Philharmoniker und der gewaltige Chor reagieren hellwach; anfängliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Bühne und Graben sind bald beigelegt und vergessen. Die sechs Aida-Trompeten, die aus der Höhe des vierten Rangs hinabblasen, spielen so großartig im Takt, als hätten sie von der Bühne aus den Maestro direkt in ihrem Blick. Erfreulich, dass der Dirigent zudem ein gutes Gefühl beweist für die Lautstärke, die das Orchester den Sängern zumuten darf.

Beim Schlussapplaus heimst die Aida von Latonia Moore den größten Beifall ein; zugestanden hätte er Laura Brioli, die deutlich stärker singt und spielt: Ihre Amneris ist ein verzogenes, etwas zu penetrant alkoholabhängiges, in ihrer verschmähten Liebe aber so gefährliches wie bedauernswertes Luxus-Gör. Ihr Mezzosopran hat gerade in den tiefen Lagen eine wunderbare metallische Note und sorgt für Gänsehaut, wenn sie ihre Wut austobt.

Zwischen den Rollen und ihren beiden Sängerinnen liegen Gefühlswelten. Latonia Moore bringt eher beiläufig Stimmvolumen und großes dramatisches Potenzial mit, findet aber - genau wie der Feldherr Radames (Franco Farina) - erst im dritten Akt zu packender Hochform. Störend: dass sie im Piano nicht wirklich Spannung halten kann und viele Töne relativ prosaisch aufhören, anstatt fein modelliert zu verklingen. Franco Farina, altbekannter Gast in Hamburg, stemmt seine Tenor-Partie im Wortsinn; über weite Strecken - gerade zu Beginn - spürt man ihm Anstrengung an. Dennoch: Fast alle Töne sitzen, gegen Ende wird er auch selbstsicher.

Auch die kleineren Rollen sind gut besetzt: Wilhelm Schwinghammers Pharao und Andrzej Dobbers gefangener äthiopischer Herrscher Amonasro haben königliches Format; und Diogenes Randes gibt dem Oberpriester Ramfis intrigante Kraft. Diese "Aida" bringt alles mit, zum Repertoireklassiker der nächsten Jahre zu werden.

Aida Nächste Vorstellungen am 19., 22., 25. und Mai, jeweils 19.00 Uhr