Hamburg. Gericht hält Dauer der U-Haft für unverhältnismäßig. Justizsenator Till Steffen (Grüne) verstärkt Landgericht personell

Schon wieder ist ein mutmaßlicher Straftäter wegen Überlastung der Hamburger Justiz auf freiem Fuß. Nach Informationen des Abendblatts hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) am Freitag der vergangenen Woche angeordnet, den 24 Jahre alten Mehmet Y. unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Der Prozess wegen versuchten Totschlags gegen Y., der seit dem 11. April hinter Gittern saß, soll am 13. November vor dem Landgericht beginnen.

Das OLG hält eine über ein halbes Jahr hinausgehende Untersuchungshaft im Fall Y. für nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig, obwohl die Richter nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte durch Flucht seinem Prozess entziehen wird. Der Fall ist insofern bemerkenswert, als der Vorsitzende Richter der zuständigen Großen Strafkammer bereits am 15. Juli die Überlastung der Kammer dem Präsidium des Landgerichts angezeigt hatte.

Nachdem der Kammer der Fall Y. trotzdem zugewiesen wurde, war die Verzögerung des Prozessbeginns absehbar. Verstärkt wurde das Terminproblem noch dadurch, dass Y.’s Verteidiger von Mitte Oktober bis November verhindert ist. Doch an der Bewertung des OLG änderte das nichts. „Die von der Kammer getroffene Terminsbestimmung – die erkennbar der Überlastung der Kammer geschuldet ist – wird dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen jedoch nicht gerecht“, heißt es im OLG-Beschluss eindeutig.

Nicht zum ersten Mal führt die Überlastung des Landgerichts zu solchen Konsequenzen: Im Mai waren die wegen Totschlags damals noch nicht rechtskräftig verurteilten Cousins Hakan und Ali Y. ebenfalls auf Beschluss des OLG aus der U-Haft entlassen worden. Im Zuge der Revision war es zu einer siebenwöchigen Verzögerung gekommen, die das OLG für vermeidbar hielt. Dass die Strafkammern des Landgerichts überlastet sind, zeigt auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ebenfalls vom Mai, der ein Urteil gegen einen Drogendealer wegen „unzureichender Personalausstattung“ des Gerichts aufhob.

Justizsenator Till Steffen (Grüne) will nun gegensteuern. Nach Informationen aus der Justizbehörde sollen drei der fünf sogenannten Verstärkungsrichter im Dezember ans Landgericht beordert werden. Die rot-grüne Koalition hatte Ende August unter anderem beschlossen, fünf Richter auf Probe dort einzusetzen, wo die Belastung besonders groß ist. Eine Variante ist, dass es durch Umbesetzungen beim Landgericht möglich wird, eine zusätzliche Strafkammer einzurichten. Allerdings war erst im Frühjahr eine Strafkammer geschlossen worden, um eine zusätzliche Zivilkammer einzurichten.