Der Streit um das Freihandelsabkommen TTIP zeigt: Der Politik und der Wirtschaft ist alles zuzutrauen.

Ein Kolumnistenleben birgt immer wieder Überraschungen. Mal erwartet man eine Flut von Zuschriften und geht fast leer aus. Dann schreibt man über ein Allerweltsthema, und das E-Mail-Fach schäumt über. Der Streit um TTIP gehört eindeutig in letztere Kategorie: Man darf auch obskure und seltsame Thesen vertreten, aber beim Plädoyer für das Freihandelsabkommen mit den USA endet das Verständnis. Vermutlich gehen deshalb fast alle Befürworter des Freihandels in Deckung, sobald Kameras laufen, die Mikrofone aufnehmen oder Journalisten mitschreiben. Lieber den Mund halten, als einen Shitstorm zu provozieren.

Bei den Lesern des Abendblatts geht es deutlich höflicher zu, aber bei TTIP liegen die Nerven blank. Warum macht uns der Freihandel so viel Angst? Sicherlich wegen der Geheimniskrämerei der Beteiligten, die absurde Züge angenommen hat. Vermutlich aber auch, weil in unserer Gesellschaft Vertrauen schwindet und Misstrauen wächst.

Es gibt – bei allen Bedenken – gute Argumente für TTIP. Eine Harmonisierung von Standards und Abschaffung von Zöllen erleichtert den Handel gerade für eine Exportnation wie Deutschland. Derzeit beispielsweise müssen die Autohersteller Neuwagen in mehreren Ländern vor die Wand fahren, weil jeder Staat seine eigenen Crashtests verlangt. TTIP würde diesen Unsinn beenden. Die Schiedsgerichte, die viele für den Untergang des Rechtsstaates halten, sind längst Alltag in über 130 Handelsabkommen, welche die Bundesrepublik seit 1959 abgeschlossen hat. Erst in der vergangenen Woche einigten sich die zerstrittenen Autohersteller VW und Suzuki vor – genau – einem internationalen Schiedsgericht.

Insgesamt bewegen sich Befürworter und Kritiker des TTIP-Prozesses allesamt auf dünnem Eis – eben wegen der Geheimniskrämerei. Das erschwert jedes Pro, macht aber auch das Contra zur Glaubensfrage. Geht es den Verhandlungsführern auf beiden Seiten wirklich darum, wie die Gegner suggerieren, „eine Gefahr für Demokratie, den Rechtsstaat, Arbeitnehmerrechte sowie Umwelt- und Verbraucherschutz“ heraufzubeschwören? Vielleicht bin ich naiv – aber für Politiker, die so agieren und das Abkommen durchwinken, gibt es in einer Demokratie eine brutale Höchststrafe: die Abwahl.

Die Debatte um TTIP wirft ein Schlaglicht auf die Erosion des Vertrauens. Man traut gerade den Politiken alles an Niedertracht, aber nichts an Kompetenz zu. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat das Vertrauen in das Funktionieren unserer Marktwirtschaft und unser Gesellschaftssystem erschüttert, die NSA-Affäre das Misstrauen verschärft. Ständig neue Empörungswellen über vermeintliche Skandale jagen via Facebook & Co. durchs Netz und bestärken die Menschen im Gefühl, die Welt sei eine Ansammlung von Schurken. Zustimmung sammelt der, der sich am lautesten empört.

„Es scheint, als hätten einige Mitglieder der aktuell noch herrschenden Klasse – Politiker, Wirtschaftsvorstände, Aufsichtsratsvorsitzende, Chefs von Energiekonzernen, Waffenhersteller und Dealer – eine Ahnung von der Veränderung, als röchen sie ihren Untergang. Das Ende des umjubelten Wachstums, das alles zum Explodieren bringt, das Ende des Patriarchats, das Ende des Neoliberalismus, das wittern sie. Und deshalb wollen sie so viele Menschen wie möglich mit in den Abgrund reißen. Schnell noch mal so richtig Scheiße bauen...“, schrieb kürzlich Sibylle Berg. Die ist nicht etwa, wie ihre Zeilen vermuten lassen, ein Troll auf esoterischen Verschwörungsseiten, sondern angesehene Kolumnistin bei Spiegel Online. Viele Leser waren ganz begeistert über diese groteske Gesellschaftsanalyse, die Politiker oder Vorstände nur noch durch ein Komma von Dealern trennt.

Da darf es nicht wundern, dass Vertrauen hierzulande schwindet wie ein Hagelkorn in der Augustsonne. In einer Umfrage sagten fast zwei Drittel der Deutschen, dass sie den politischen Parteien eher nicht trauen. Und zu Beginn des Jahres gingen vier von fünf Bundesbürgern davon aus, dass Politiker weiter an Zustimmung einbüßen werden. Ein gewisses Grundvertrauen aber ist die Grundlage jeder Demokratie und funktionierender Institutionen.