DerTschaikowsky-Schwerpunktdes SHMF

Alsterglacis, Jungfernstieg, Fuhlentwiete, Wexstraße: Es berührt einen merkwürdig, einem weltberühmten und längst verblichenen Komponisten mittels seiner Tagebuchaufzeichnungen durch die eigene Stadt zu folgen, ganz so, als könnte man ihm mal eben an der nächsten Ecke begegnen. Peter Tschaikowsky, dem das Schleswig-Holstein Musik Festival in diesem Jahr eine umfangreiche Retrospektive widmet, war in Hamburg. Fast 130 Jahre ist es her, dass die Philharmonische Gesellschaft ihn einlud, eigene Werke zu dirigieren. 1888 verbrachte der Herr „Professor Tschaikowsky, Russland“, wie ihn die örtliche Presse apostrophierte, mehrere Tage in der Stadt. Neben den Orchesterproben hörte er ein Sinfoniekonzert unter der Leitung von Hans von Bülow, traf sich mit Persönlichkeiten des ­Hamburger Musiklebens – und gab sich im Austernkeller unterm „Streit’s“ der ­„Zecherei“ hin, wie er am anderen Morgen zerknirscht notierte.

Die Stätte seines Dirigats existiert nicht mehr; der Conventgarten, damals Hamburgs erster Konzertsaal, wurde 1943 zerstört. Tschaikowskys Wirkung aber geht über die bloße Topografie weit hinaus. Welchen Einfluss Ideenreichtum und Farbigkeit seiner Tonsprache auf nachfolgende Komponistengenerationen hatten, lässt sich nur ahnen. Selbst Igor Strawinsky, inniger Nähe zur Romantik sonst unverdächtig, verehrte den älteren Kollegen: „Tschaikowsky besaß eine große, melodische Kraft“, schrieb er 1921 in der Londoner „Times“. „Tatsache bleibt, dass er ein Schöpfer der Melodie war, und dies ist eine sehr seltene und kostbare Begabung.“

Den musikalischen Beziehungen Tschaikowskys folgt das SHMF entschieden bis in die entlegeneren Ecken. Die Cellistin Sol Gabetta und ihre ­Mitstreiter setzen die Ballettmusik­ ­„Schwanensee“ in Beziehung zu Saint-Saëns, Rimsky-Korssakoff und Turnage (20.8., Hamburg, Laeiszhalle), Christoph Eschenbach und das Schleswig-Holstein Festival Orchester führen die erste Sinfonie und Auszüge aus der Oper ­„Eugen Onegin“ auf (21.8., Hamburg, ­Laeiszhalle). Der Cellist Mischa Maisky umgibt die hochvirtuosen „Rokoko- ­Variationen“ mit Haydn und Mozart (2.8., Hamburg, Laeiszhalle). Der ­Dirigent Krzysztof Urbański und der Pianist Jan Lisiecki spinnen den Faden weiter zu Strawinsky und Chopin (18.7., Hamburg, Laeiszhalle). Und die beiden Pianisten Alice Sara Ott und Francesco Tristano gleich ganz ins 20. Jahrhundert mit Werken von Debussy, Ravel, ­Strawinsky – und einem Schuss Techno (8.8., Hamburg, Lokschuppen der S-Bahn).

Tschaikowskys Verbindung mit Hamburg hat in der Musikgeschichte Spuren hinterlassen. Seine berühmte Fünfte Sinfonie widmete er einem gewissen Theodor Avé-Lallement, seines Zeichens Vor­stands­mitglied der Philharmonischen Gesellschaft. Deren Orchester spielte im März 1893 die deutsche Erstaufführung der Sinfonie. Der Klangkörper besteht bis heute fort, mittlerweile unter dem Namen Philharmonisches Staatsorchester Hamburg.