Bei bunten Begräbnis-Zeremonien auf Sulawesi sind Touristen gern gesehen. Nelkenzigaretten als Gastgeschenk ebenfalls.

Die Abendsonne taucht den Alten Hafen von Makassar in goldenes Licht. Es riecht nach Seetang und nach Teer. Schauerleute in Shorts balancieren barfuß prall gefüllte Leinensäcke über die Stiegen der Stückgutfrachter am Pier von Paoterre. „Die Schiffe kommen aus Kalimatan und Surabaya an der Ostküste Javas“, erzählt unser Guide Eman Suherman. Eman ist Lehrer, in Sulawesi aufgewachsen und spricht fast perfekt Deutsch. Die Schiffe sind für den Reistransport sehr wichtig. Sie werden von kleinen Betrieben gelöscht. „So kann jeder gut davon leben“, erzählt Eman.

Einen Steinwurf entfernt spielen ein paar Jungs Fußball. „Where you come from?“ ruft einer zu uns rüber. „From Germany!“, antworte ich. „Ah, Thomas Müller!“ Der Junge kommt auf uns zu gerannt und strahlt. Wir wechseln ein paar freundliche Worte, dann flitzt er zurück auf den staubigen Platz. Europäer sind in Sulawesi gern gesehene Gäste.

Wir werfen noch einen Blick auf den Fischerhafen, wo sich bunt lackierte Boote vor den Pfahlbauten wiegen. Drei Generationen leben hier unter einem Dach. Zwischenhändler bringen den Fang täglich mit dem Moped in die zahllosen Restaurants und auf die Märkte. Dann taucht unser Kleinbus ein ins Verkehrsgetümmel von Makassar. Die Schatten werden länger. An Karaoke-Bars und offenen Garküchen vorbei geht’s zurück nach Downtown zum ­Asian Hotel.

Nach dem Glauben der Toraja gelten Tote solange als krank, bis sie beigesetzt werden

Die Metropole Makassar, einst fest in der Hand holländischer Kolonialherren, ist Ausgangspunkt für unseren Trip in die Berge. Unser Ziel heißt Tanha Torajah, kurz: Torajaland. Die Bewohner des geheimnisvollen Hochplateaus im Zentrum der grünen Insel stammen aus Indochina. Vor Urzeiten wurden sie von der Küste ins Landesinnere Sulawesis verdrängt. Seitdem pflegen sie dort oben einen einzigartigen Totenkult, der sich seit Jahrtausenden kaum verändert hat. Das Überraschende daran: Gäste aus dem Ausland sind auf den fröhlichen Abschiedsfesten zu Ehren der Toten herzlich willkommen. Vorausgesetzt, man bringt kleine Geschenke mit. Nelkenzigaretten zum Beispiel.

Acht Stunden dauert die Fahrt mit dem Kleinbus hinauf zu den Dreitausendern des Karstmassivs rings um Torajaland. Wir nehmen die Route über die Westküstenstadt Pare Pare, Geburtsort von B. J. Habibie. Der ehemalige Staatspräsident und „Vater der Demokratie“ Indonesiens, der in den 60er-Jahren in Hamburg-Finkenwerder maßgeblich den legendären Hansajet mit entwickelt hat, wird in seiner Heimat wie ein Heiliger verehrt. Gerade wird Habibies Elternhaus in Pare Pare zum Museum umgebaut.Wir fahren weiter, vorbei an Pfahlbauten, die zwischendurch immer wieder den Blick freigeben auf endlose Reisterrassen, an deren Rändern vereinzelt Wasserbüffel baden. Eman erzählt uns währenddessen alles über Land und Leute.

80 Prozent der Torajas sind Christen, nur acht Prozent Muslime. Dies ist ein Erbe der Kolonialherrschaft und eine Ausnahme im Inselreich Indonesien, immerhin das größte muslimische Land der Erde.

Immer wieder legen wir unterwegs kleine Pausen ein, erfrischen uns am Wegesrand mit Getränken, schlürfen Kokosmilch und probieren Snacks wie Don Don, eine in Palmblätter gepresste Süßigkeit. Oder Dange, eine Spezialität aus gemahlenem Reis mit Kokosnuss und Palmzucker, gebacken auf Bananenblatt.

Ankunft am Abend in Rantepao. Die kleine Stadt im Zentrum von Torajaland ist die ideale Basis für unseren Erkundungstrip. Wir beziehen Quartier im Toraja Heritage Hotel, mitten in der Natur. Die Satteldächer der Tongkonan, so heißen die traditionellen Holzhäuser der Toraja-Aristokratie, ragen wie Schiffsrümpfe über die Wipfel der Parkanlage. Die reich verzierten Wohnbauten, typisch für Torajaland, zählen zu den Meisterleistungen indonesischer Holzbaukunst. Als Symbole der Ahnenverehrung und als Zeichen für Prestige und Wohlstand der Familie werden an der Front traditionell Hörner geopferter Wasserbüffel aufgehängt.

In Toraja-Dörfern wie dem denkmalgeschützten Kete Kesu stehen den Häusern Reisscheunen in Reih und Glied gegenüber. Ihre Dächer wölben sich ebenfalls steil empor wie Bug und Heck eines Schiffs – ein Hinweis auf die Herkunft der Torajas, die vor mehr als 4000 Jahren als kernige Seefahrer und Bootsbauer von Indochina herüberkamen nach Sulawesi.

Mit dem ersten Hahnenschrei erwacht in Rantepao ein neuer Tag. Die Sonne brennt. Ein paar Frühaufsteher nehmen noch vor dem Frühstück ein Bad unter freiem Himmel im Hotelpool. Eman hat Neuigkeiten. Er hat von einer Totenfeier gehört, bei Lemo im Süden von Torajaland. Die kann gut und gern eine Woche dauern, ein opulentes Fest für die ganze Familie und viele Freunde. Tausende Gäste werden in Lemo erwartet.

Als wir uns dem Zeremonienplatz über die abgeernteten Reisfelder zu Fuß nähern, hören wir von fern dumpfes Trommeln. In schwarzes Tuch gehüllte Jugendliche fegen mit knatternden Mofas an uns vorbei. Das Trommeln wird lauter. Hagere Frauen schlagen mit mächtigen Bambusrohren den Rhythmus in einem ausgehöhlten Baumstamm. Sie lächeln freundlich, als wir uns dem mit bunten Fähnchen und über und über mit Büffelhörnern geschmückten Haus der Toten nähern. Die Verstorbene liegt in einer schummrigen Kammer unterm Dach in einem halboffenen Sarg. Sie war die Frau eines reichen Reisbauern, erfahren wir von ihrer Tochter, die uns gestenreich in den Abschiedsraum bittet, während sie draußen bleibt und mit ihrem Handy telefoniert. . Auf dem Sargdeckel steht ein Teller, ein Glas, Zigaretten. Als Proviant: Zwar ist die alte Dame schon seit drei Jahren medizinisch tot, sie wurde 87 Jahre alt. Aber nach dem Glauben der Toraja ist sie so lange „krank“, bis sie beigesetzt wird.

Bis es soweit ist, können Jahre vergehen: Die Kosten für die grandiosen Totenfeiern sind immens und das Geld muss erst mal aufgetrieben werden. Nicht selten wird für die Abschiedsparty ein ganzes Dorf aufbaut. Bis dahin liegt die „Kranke“ daheim, perfekt einbalsamiert, versteht sich. Auf ihrer Reise nach Puya ins Reich der Toten wird die Verstorbene von zahlreichen Opfertieren begleitet. Das Jenseits ist für die Toraja ein Abbild des Diesseits, in dem die Seele ihr irdisches Dasein fortsetzt. Den Ahnen soll es an nichts fehlen. Opfertiere, die die Gäste mitbringen, sollen die Seele ins Jenseits begleiten und Ahnen Ansehen und Wohlstand garantieren.Es ist gar nicht so lange her, da hatten einem Verstorbenen Toraja-Adligen auch noch mehrere Sklaven zu folgen. Schrumpfköpfe an Häusern zeugen bis heute davon.

In die Stille der Totenkammer dringt Gejohle. Zwei Wasserbüffel sind zum Kampf angetreten. Angespannt stehen sich die Schwergewichte in der Gluthitze gegenüber. Hunderte Menschen verfolgen das Spektakel von sicheren Logenplätzen hinterm Holzgatter. Jeder Schritt und Tritt der Opfertiere, jede kleinste Attacke wird mit Applaus und Schlachtrufen quittiert. Doch der Kampf, der tödlich enden kann, will nicht so recht in Fahrt kommen. Sterben werden die mächtigen Tiere dennoch, wenn sie zum Höhepunkt des Festes gemeinsam mit ihren Artgenossen unter freiem Himmel auf dem Dorfplatz geschlachtet und von den Gästen verspeist werden.

Gäste gelten als Glücksbringer und sind überall jederzeit willkommen

Wir fahren weiter nach Lemo, einen Felsenfriedhof. In dicht an dicht in den Fels gehauenen Grabkammern finden jeweils bis zu zwanzig Tote ihre letzte Ruhestätte, erklärt Eman. Ein Jahr dauert es, bis so ein Grab fertig ist. Neben den Eingängen wachen fröhlich winkende Tau-Taus von Balkonen. Die lebensgroßen Puppen sind Ebenbilder der Verstorbenen. Einige der Puppen tragen Menschenhaar. Es sind Grabbeigaben der besonderen Art. Wenn eine Kammer voll ist, werden Särge und Gebeine in Höhlen verbracht – nach Tangpangalio, Kete Kesu oder nach Londa, eine schaurig-schöne Sehenswürdigkeit.

Ob Totenfeier, buginesische Hochzeit oder Hauseinweihung: Gefeiert wird in Torajaland immer irgendwo. Spontane Gäste sind überall willkommen. Sie gelten als Glücksbringer. Auf unserem Weg nach Kete Kesu wird gerade ein Tongkonan eingeweiht. Das mit Schnitzereien übersäte, frisch renovierte Haus ist über 400 Jahre alt, erfahren wir. Die Gäste plaudern im Schatten der offenen Nebengebäude in festlichen Sarongs und bunten Hemden. In blumengeschmückten Bambusbussänften werden derweil Schweine auf den Festplatz geschafft. Die Gäste bewundern die prachtvollen Opfertiere, manche machen Fotos fürs Familienalbum. So ehrenvoll der Auftritt der Tiere, so rasch ist ihr Ende: Ein, zwei Messerstiche in Kehle und Bauch, und die Dorfmetzgerei übernimmt den Rest. 120 Schweine werden für 3000 Gäste auf diese Weise geschlachtet. Nichts für schwache Nerven und beileibe nicht jedermanns Sache: Als Kind sei er beim Schlachten der Opfertiere dabei gewesen. Er habe da gestanden und geweint, sagt B. J. Habibie, der ehemalige Staatschef.

Beim Besuch der berühmten Grabstätten von Kete Kesu verrät uns der Dorf­älteste Palidan Sarangallo, dass er keine Angst vorm Sterben hat. „Wenn Du an Gott glaubst, brauchst Du den Tod nicht zu fürchten“, sagt er. „Wir glauben an Puya, das Jenseits. Wenn wir sterben, sehen wir uns nach der Reise alle in Puya wieder. Darauf freue ich mich.“

Eine sehr lebendige Seite von Torajaland zeigt sich uns gegen Ende der Reise: Im Norden, in den Bergen von Batutumonga, lassen wir die Terrassengräber hinter uns. Hier lässt es sich wunderbar und nach Belieben wandern. Im Dschungel aus Palmen und Bambuswäldern gedeihen prachtvolle Orchideen, Wandelröschen, Betelnüsse und feinster Hochlandkaffee. Naturtrekking der besonderen Art. Zum Abschied besuchen wir den Markt in Bolu. Neben exotischen Gewürzen und exzellenten Kaffee-Spezialitäten gibt es hier auch Wasserbüffel. Einmal mehr bestätigt sich die Erkenntnis: Wer das Außergewöhnliche sucht, kann es in Torajaland finden.